Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
Skarre preßte einen vorschriftsmäßig polierten Schuh in den Türspalt und lächelte, so herzlich er konnte. »Es handelt sich um reine Routine. Ihr Name steht auf meiner Liste«, erklärte er. »Ich muß ein paar Zeilen ins Protokoll schreiben, dann können wir Sie durchstreichen, und alles ist erledigt. Und wir können uns wichtigeren Dingen zuwenden.«
Ich rede zu schnell, dachte er. Herr Jesus, mach, daß ich diesen Menschen nicht vor den Kopf stoße, bis ich mehr herausgefunden habe.
»Ich weiß, daß ich nicht wichtig bin«, sagte sie schroff.
Er sah sie an. Unter der Dauerwelle arbeitete es heftig.
»Ihr Besuch kommt mir nicht gerade gelegen.« Sie wollte die Tür schließen.
»Es dauert nur eine Minute.«
»Aber ich weiß nichts.«
»Hören Sie.« Skarre riß sich zusammen, er mußte in dieses Haus gelangen und feststellen, wer die Frau wirklich war, auch wenn er keinen Zusammenhang zwischen ihr und Andreas sehen konnte. Abgesehen davon, daß sie dessen Mutter kannte. Eine Frau von fast sechzig Jahren, die allein lebte, vielleicht ganz isoliert, woher sollte sie etwas wissen? Aber in seiner Erinnerung hallte ein weiterer Satz wider: »Ich weiß, wo er ist.«
»Wenn ich nicht mit Ihnen sprechen darf, dann kommt der Chef persönlich«, sagte er rasch. »Sie wissen schon, ein Hauptkommissar der alten Schule.«
Das war eine Drohung. Er konnte beobachten, wie sie die erwog. Endlich machte sie auf. Er betrat die Diele. Es war ein ordentliches Haus. Die Küche war blau, auf dem Boden lag ein gestreifter Läufer.
»Darf ich mich setzen?« Er zeigte auf einen Stuhl.
»Wenn Sie nicht sechzig Sekunden stehen können, dann müssen Sie das wohl«, sagte sie kurz.
Skarre schüttelte den Kopf. Was war das bloß für ein Mensch? War sie vielleicht nicht ganz richtig im Kopf? Frau Winther hatte das nicht erwähnt. Und Frau Winther war doch wirklich bei Sinnen. Warum hatte sie sich mit dieser Vogelscheuche angefreundet? Der Herr möge mir meine Arroganz verzeihen, dachte er. Und setzte sich. Zog Block und Kugelschreiber nicht hervor, sondern sah nur die Frau an. Sie war am Küchentisch beschäftigt. Er schaute sich um. Entdeckte die Nuckelflasche. Sie stand neben der Kaffeemaschine. Wozu sie die Flasche wohl brauchte?
»Sie heißen Irma Funder. Das steht auf dem Briefkasten«, begann er vorsichtig.
»So heiße ich eben«, erwiderte sie abweisend.
»Das ist nur ungewöhnlich. In der Regel steht der Name des Mannes auf dem Briefkasten. Oder beide. Oder nur der Nachname.«
»Mein Mann ist nicht mehr da«, erklärte sie.
Skarre dachte nach. »Er ist nicht mehr da? Sie haben doch gesagt, er sei krank.«
Sie fuhr herum und starrte ihn an. »Wann?« fragte sie rasch.
»Bei unserem letzten Gespräch.«
»Ich kenne Sie nicht.« Plötzlich war ihr Gesicht angstverzerrt.
»Nein«, sagte er. »Aber wir haben schon einmal miteinander gesprochen. Vor wenigen Tagen. Haben Sie das vergessen?« Er musterte sie forschend. »Erzählen Sie mir, was Sie über Andreas wissen.«
Sie kehrte ihm den Rücken zu und zuckte mit den Schultern. »Das ist schnell erledigt. Ich weiß nichts. Er war nie da, wenn ich Runi besucht habe.«
»War? Besuchen Sie Frau Winther nicht mehr?«
»Ich fühle mich nicht ganz wohl«, erklärte sie.
»Ich verstehe«, sagte er, aber er verstand rein gar nichts. »Erzählen Sie mir von Ihrem Mann«, fuhr er fort.
Sie drehte sich um. Ihre dünnen Lippen waren farblos.
»Der hat mich verlassen«, sagte sie.
»Schon lange her?«
»Elf Jahre.«
»Und jetzt halten Sie ihn für tot?«
»Ich höre nie mehr von ihm.«
»Und Sie kommen allein zurecht?«
»Solange ich meine Ruhe habe«, sagte sie. »Aber dieses Gerenne an meiner Tür geht mir auf die Nerven.«
»Gerenne?« Er spitzte die Ohren. »Wie meinen Sie das?«
»Ach, einfach so. Abends sind so seltsame Leute unterwegs. Ich mache nie auf. Ich habe die Tür immer verriegelt. Sie tragen ja Uniform, da habe ich es riskiert. Ansonsten sieht man den Leuten nicht ohne weiteres an, aus welchem Stoff sie gemacht sind.«
»Aus welchem Stoff ist Andreas?« fragte er rasch.
»Ach, Andreas«, sagte sie. »Der ist seltsam. Irgendwie synthetisch.«
»Wie?« Skarre stutzte. »Haben Sie Kinder?« fragte er als nächstes.
»Ich hatte einen Sohn. Ingemar.«
»Sie hatten? Ist er tot?«
»Ich weiß nicht. Ich habe schon lange nichts mehr von ihm gehört. Also kann er durchaus tot sein.« Sie drehte sich wieder um. »Die Zeit ist um. Sie haben von einer
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