Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
grünen Auto unterwegs. Andreas hat etwas über die Jacke des Kleinen gesagt. Es war 18.15. Und erzähl mir bloß nicht, ihr hättet ihn nicht gequält.« Sejers Stimme hatte einen drohenden Unterton angenommen.
»Ihr Enkel?« Zipp hätte vor Überraschung fast einen Schluckauf bekommen. Plötzlich wirkte es durchaus möglich, daß der Hauptkommissar die Faust ballte und zuschlug. Und was wußte er schon über die Methoden der Bullen? O Scheiße, das war vielleicht schrill.
»Ist Andreas in dich verliebt?« fragte Sejer weiter.
Zipp wurde schwindlig. Mit wem hatten die bloß geredet? Das wußte doch keiner, der Negerbengel jedenfalls nicht. Waren sie vielleicht schon Stadtgespräch?
»Verzeihung«, preßte er hervor und versuchte noch immer, die Stimmung dieses Mannes zu durchschauen. »Ich glaube, Sie haben da etwas falsch verstanden.«
»Das kommt bisweilen vor. Und wenn, dann mußt du entschuldigen. Ist Andreas homosexuell?«
Zipp überlegte sich, daß er das vielleicht nutzen konnte. Daß er die Bullen damit auf eine falsche Fährte jagen konnte. Sie von der anderen Sache ablenken.
»Ja«, sagte er kleinlaut. »Zumindest glaube ich das.«
Du klatschst doch nicht? Doch, zum Henker!
»Warum glaubst du das? Hat er es bei dir versucht?«
»Nein! Er ist doch kein Vollidiot.«
»Wir haben alle unsere schwachen Momente. War das eine schwierige Situation?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Du konntest die Vorstellung, daß er scharf auf dich war, vielleicht nicht aushalten? Warst du wütend?«
»Nur überrascht«, murmelte Zipp schließlich.
»Hast du ihn geschlagen? Ein wenig zu hart?«
Langsam begriff Zipp, worauf der andere hinauswollte.
»Nein«, sagte er leise. »Ich hatte keine Lust. Aber ich habe ihn nicht angerührt.«
»Du rächst dich auf andere Weise. Du verschweigst, was du weißt. Willst du damit deine eigene Haut retten?«
Keine Antwort.
»Lieber Zipp«, Sejer senkte die Stimme zu einem Flüstern, »wie willst du aus dieser Sache je herauskommen?«
»Aus welcher Sache?«
»Aus der, in die du hineingerutscht bist. Ist es dir vielleicht nur recht, daß Andreas nicht wieder auftaucht?«
»Ist es nicht, zum Teufel!«
»Ich suche einen Grund«, sagte Sejer. »Einen Grund dafür, daß du nicht die Wahrheit erzählst. Wie ich schon letztes Mal gesagt habe, sollte das ein sehr guter Grund sein. Ist er das?«
Zipp rang die Hände. »Ja«, stöhnte er. »Ist er. Und mehr sage ich nicht. Ich will nach Hause! Sie dürfen mich hier nicht festhalten.«
»Wie fast alle haben auch wir unsere Tricks.«
Zipp starrte ihn verzweifelt an.
»Die Zeit zwischen achtzehn Uhr und eurem Eintreffen in der Kneipe. Wie habt ihr die verbracht?«
»Im Auto. Sind rumgefahren. Haben uns Frauen angeschaut.«
»Du hast dir Frauen angeschaut«, korrigierte Sejer. »Und was ist dann passiert?«
»Nichts.«
»Warum hast du das nicht erzählt?«
»Ich hatte es vergessen.«
Und so ging es weiter. Zipp war selbst überrascht von seiner Hartnäckigkeit. Seiner Willenskraft. Davon, daß er den anderen fast zum Wahnsinn treiben konnte. Seltsam, das hätte er sich niemals zugetraut. Aber auch der andere hatte seinen Willen. Beide zogen an einem Ende eines unsichtbaren Taus. Zipp stöhnte vor Erschöpfung und stellte im nächsten Moment fest, daß er wieder die Oberhand hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben kämpfte er mit jemandem. Es war die pure, reine Machtprobe. Es war seltsam, wie viele Gefühle dabei kamen und gingen. Und zwischendurch gefiel ihm das sogar. Ihm gefiel der Mann, der ihm gegenübersaß.
J etzt war es nur noch eine Frage der Zeit. Bald würde die Polizei vor der Tür stehen. Ich sah es dem jungen Beamten an; der roch, daß in meinem Haus etwas nicht stimmte. Seine Augen hielten nicht still, sahen alles, waren voller Willen. Im Keller war es schön warm. Ich stand da und betrachtete Andreas. Eigentlich litt er keine Not, ich hatte gut für ihn gesorgt. Ein Gedanke traf mich wie eine Ohrfeige: Er hätte niemals das gleiche für mich getan.
»Ich gehe jetzt«, sagte ich leise.
Er versuchte, seinen Blick auf etwas zu richten. Das erforderte eine gewisse Anstrengung. Endlich fand er die Glühbirne unter der Decke.
»Sie werden dich bald holen, sie waren eben erst hier. Die Polizei. Ich lasse die Tür offen. Hörst du mich?«
Er schloß die Augen. Schwieg. Freute sich nicht einmal.
»Du hast ja vielleicht etwas angerichtet«, sagte ich verzweifelt und hockte mich auf eine Treppenstufe.
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