Dunkler Schnee (German Edition)
einzige gefunden. Ich glaube kaum, dass sie alle ihre Nummern versteckt halten. Sehr unwahrscheinlich bei der großen Familie – die es offensichtlich gar nicht gibt.“ Sie seufzte und senkte den Blick. Wieder wurden ihre Wangen nass. „Scheiße!“, fluchte sie leise.
„Du Arme! So ein Mistkerl! Das darf doch alles nicht wahr sein! In was bist du da nur reingeraten?“ Yvonne schüttelte den Kopf und legte kurz eine Hand auf Marisas Schulter. „Aber Trübsal blasen gilt nicht! Wir müssen was tun!“
„Das hatte ich mir von dir erhofft.“ Marisa schniefte und grinste gleichzeitig vorsichtig.
„Wann hast du den Brief bekommen?“
„Vor vier Tagen.“
„Und seitdem nichts mehr?“
„Nein.“
„Seit wann geht deine Affäre?“
„Seit drei Wochen.“
„Liebst du den Kerl?“
Marisa schluckte hart an einem Bissen, nahm einen Schluck Kaffee hinterher und sagte: „Ich habe keine Ahnung.“
„Was heißt das denn?“
„Ich hab mich einfach treiben lassen. Vielleicht aus Angst vor der endgültigen Bindung, ich weiß nicht.“
„Ist es möglich, dass Laurens schon von deiner Affäre weiß?“
„Du meinst, er könnte selber derjenige sein …?“ Marisa hatte diesen Gedanken noch nicht erwogen. „Kann ich mir nicht vorstellen. Er ist so aufmerksam in der letzten Zeit! Dauernd bringt er mir Blumen mit und sagt immer, wie sehr er mich liebt. Wenn er was wüsste, hätte er mir bestimmt eine Szene gemacht und nicht so einen Wisch geschrieben!“
„Es sei denn …“ Yvonne verstummte und blickte zur Seite.
„Es sei denn, was?“, fragte Marisa.
„Es sei denn, er will sich bereichern“, meinte Yvonne vorsichtig, dann sofort: „Ach was, vergiss es! Das ist Blödsinn.“
„Davon auszugehen, dass er mir über ein Jahr lang was vorgemacht hat, wäre auch eine Vorstellung, die nicht in meinen Kopf passt. Nein, niemals!“ Marisa stellte ihre Tasse mit Schwung auf den Tisch zurück, dass der Kaffee fast über den Rand schwappte.
„Okay, lass uns ruhig bleiben. Wer kann Wind von deiner Affäre mit …“, sie zögerte, „diesem Volker bekommen haben?“
„Keine Ahnung. Ich zermartere mir schon seit Tagen den Kopf. Mir fällt nur die Putzfrau ein, die uns gesehen haben könnte, als wir uns das erste Mal geküsst haben. Aber ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass sie zu so was fähig ist. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass sie uns bemerkt hat, wir hockten nämlich neben meinem Auto und es war schon dunkel.“
Yvonne sah Marisa an, als überlege sie, ob sie nach den Einzelheiten des Fremdgehens fragen oder sich lieber zur Lösung des Problems Gedanken machen sollte.
„Vielleicht ist dieser Volker ein böser Bube?“
„Du brauchst nicht so affektiert über ihn zu sprechen. Er ist bestimmt kein schlechter Mensch. Ich war in seiner Wohnung, er arbeitet als Ingenieur und er hat mir quasi alles von sich erzählt. Ich bin über seine Kindheit genauso informiert wie über seine beiden Ex-Frauen, seine Eltern und alle seine Fische im Aquarium.“ Marisas Tonfall gewann an Schärfe.
„Schon gut, aber wenn ich dir helfen soll, müssen wir alles bedenken – und aussprechen!“
„’tschuldige, ich bin nervös.“
Yvonne setzte einen einfühlsamen Blick auf und nickte. „Kann ich verstehen; ist ganz schön üppig das Päckchen, das du gerade tragen musst.“
Nach dem Frühstück räumten sie gemeinsam den Tisch ab. Yvonne schraubte Marmeladengläser und Schokocreme zu und bedeckte die Aufschnittplatte mit Folie. Dabei sinnierte sie pausenlos weiter. „Ich weiß, dass dich meine Fragerei nervt, aber vielleicht macht es ja bei irgendetwas Klick! und du findest eine Antwort. Also weiter!“
Sie fragte Marisa nach den Treffpunkten, den Zeiten, den Kollegen, ob Marisa Volker zu Hause getroffen habe, die Nachbarschaft, sie fragte nach allem, was ihr einfiel, doch Marisa musste bei allen Fragen den Kopf schütteln oder konnte plausibel erklären, dass ihr kein Fehler unterlaufen sein konnte. Sie war seit drei Wochen übervorsichtig, traf sich mit Volker nur an Orten, die sie mit niemandem aus ihrem persönlichen Kreis in Zusammenhang brachte, sie plante jedes Treffen bis auf die letzte Sekunde aus Angst vor Entdeckung. Nicht nur einmal hatte sie sich nach dem Sinn gefragt. Hatte sich selber gefragt, warum sie sich darauf einließ, doch war sie der Antwort und ihrem Spiegelbild jedes Mal aus dem Weg gegangen. Sie musste sich selber eingestehen, dass das Risiko, das sie einging, wie die
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