Dunkler Schnee (German Edition)
zweifellose, aber dennoch ehrliche Liebe an einen Betrüger verschwendet hatte, dass sie selber zur Betrügerin geworden war und den erhobenen Finger dadurch wieder ein Stück senken musste, dass sie Opfer und gleichzeitig Täterin war, dass sie nicht mehr wusste, ob sie jemals von jemandem um ihretwegen geliebt werden würde.
Wie Rasterpunkte blinkten einzelne Begebenheiten aus den letzten Monaten in Marisas Erinnerung auf, zeigten Details ihrer Beziehung zu Laurens; er zwinkert ihr bei der Arbeit zu, er lädt sie auf ein Bier ein, er macht ihr Komplimente – monatelang, er fährt sie nach Hause, als ihr Auto den Dienst versagt, sie küssen sich das erste Mal, sie übernachtet bei ihm, sie umgehen den aufmerksamen Blick Georgs, täuschen alle Kollegen, sie ziehen zusammen, verheimlichen auch Laurens’ neue Adresse auf der Arbeit, um keine schlafenden Hunde zu wecken, der Urlaub in Kanada, Laurens zieht sie zu sich, „Heirate mich!“, und immer sein Zwinkern, das ihr schmeichelt; Volker taucht auf, auch er umschmeichelt sie, drückt die richtigen Knöpfe, verwirrt sie.
Marisa fand sich auf dem Boden sitzend wieder, nicht wissend, wie viel Zeit seit ihrer Rückkehr aus Aachen schon vergangen war; der Tränenstrom wurde zu einem Bächlein, versiegte endlich ganz. Sie stand auf, ging ins Bad und kühlte sich minutenlang das Gesicht.
Ihr Spiegelbild war kein Trost, aber die Worte aus ihrem Mund klangen gut: „Dir zeig ich’s!“
17. Marisas Eltern
Ich brauche Unterstützung, dachte Marisa, nachdem sie einen starken Kaffee getrunken und anschließend eine halbe Stunde regungslos im Sessel gesessen hatte. Sie rief die Eltern an und fragte, ob sie zu ihnen kommen könne.
Damit die Eltern sich nicht wegen ihres Aussehens erschraken, möbelte sie sich vor dem Badezimmerspiegel auf, legte Make-up auf und verzog mehrfach das Gesicht, wie um sich die Bewegung einzuprägen, die ein Lächeln hervorzaubert.
„Was ist los, Marisa? Hast du Probleme?“ Ihre Mutter nahm ihr die aufgesetzt fröhliche Stimme nicht ab, mit der sie die Eltern begrüßte. Marisa seufzte. „Ich kann dir nichts vormachen, Mama, ich weiß. Ich erzähl euch nachher, was los ist, okay?“
Gudrun hatte ihr übliches Kaffeetablett hergerichtet und Gebäck bereitgestellt, als Marisa eine Stunde nach ihrem Anruf im Wohnzimmer ihres Elternhauses Platz nahm.
Mit bemüht sachlichen Sätzen schilderte sie knapp das Problem.
Claus Demmer bekam unverzüglich einen hochroten Kopf, Gudrun blieb ruhig, doch ihre Brust hob und senkte sich deutlich, bevor sie sagte: „Claus, nur die Ruhe! Das ist bloß ein Dummer-Jungen-Streich. Das kriegen wir schon hin.“
„Ein Streich?“ Claus erhob nicht nur seine Stimme, sondern seinen ganzen Körper. Er begann eine Wanderung durchs Wohnzimmer, während derer Gudrun ihn immer wieder zu beschwichtigen versuchte. Als sie sich darauf geeinigt hatten, es mit einem ausgeschlafenen Verbrecher zu tun zu haben, nahm Gudrun ihre Tochter in den Arm. „Meine arme Kleine! Es tut mir so leid für dich. Wir hofften, du könntest mit ihm glücklich werden.“ Sie vermied es offensichtlich, Laurens’ Namen auszusprechen.
„Du hast es gespürt, nicht wahr?“, fragte Marisa. „Du hast gespürt, dass etwas nicht stimmt.“
„Das spielt jetzt keine Rolle. Jetzt werden wir nach vorne sehen und diesem … diesem Widerling einen Strich durch die Rechnung machen!“
„Wir müssen auf jeden Fall so tun, als sei nichts passiert“, meldete sich Claus zu Wort, dessen Gesicht wieder seine normale Blässe aufwies. „Die Hochzeitsvorbereitungen laufen weiter, niemand erfährt ein Wort! Nicht auszudenken, was das für Auswirkungen auf uns alle haben wird!“ Marisa ahnte, dass ihr Vater nach Möglichkeit auf polizeiliche Hilfe verzichten wollte. Zu peinlich wäre ihm die Geschichte, dass seine einzige Tochter einem Betrüger, einem Heiratsschwindler aufgesessen war. Und als Ratsmitglied der Stadt konnte er sich keinen Skandal leisten. Sein Ehrgeiz, auf dem Parkett der Politik zu tanzen, war noch lange nicht befriedigt. Marisa war es recht. Die Sache im Stillen auszustehen, war ihr ebenso um Längen lieber; ihre Scham und Demütigung mussten wirklich nicht nach außen getragen werden. Sie beschlossen, bis zum nächsten Brief zu warten. Es würde nicht mehr lange dauern bis zur Anweisung der Zahlung. Erst wenn sie die Bedingungen kannten, konnten sie Pläne schmieden.
Marisa fühlte sich erleichtert; ein paar Kilos ihrer Last
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