Dunkler Schnee (German Edition)
Mannes. „Vielleicht hast du recht, und er lässt uns dann in Ruhe.“
Marisa fragte: „Wie funktioniert das mit diesen Nummernkonten?“
„Der Inhaber kommt mittels Passwort an sein Guthaben ran.“
„Das heißt, wenn du das Geld überwiesen hast, ist es unwiderruflich weg; nur der Kontoinhaber kann es abheben?“
Claus nickte.
„Das heißt wiederum, Laurens muss nur in die Schweiz reisen und warten, bis das Geld auf dem Konto ist“, überlegte sie laut.
„Er braucht nicht selbst dort zu sein. Er kann überall auf der Welt sein. Es gibt immer Möglichkeiten, an das Geld zu kommen.“
„Was ist mit diesem Volker?“, fragte Gudrun dazwischen. „Vielleicht ist er ja der Drahtzieher?“
„Möglich“, schaltete Claus sich ein, „sie haben dich beide reingelegt, wohl wissend, dass ein Skandal meine Kanzlei als auch meine Politik zerstören könnte, und wohl wissend, dass wir genug Geld haben, auf die Forderungen einzugehen. Vielleicht ist alles aber nur ein großer Bluff.“
„Aber wenn Laurens doch eine kriminelle Vergangenheit hat?“, fragte Gudrun mit bangem Blick.
„Das habe ich geprüft.“ Claus sah Marisa an. „Aber erst heute Morgen“, fügte er hinzu. „Es ist mittels Polizeicomputer kein Laurens Buchmann dieses Alters zu finden; ich habe meinen alten Freund Herbert gebeten zu recherchieren. Laurens ist also definitiv ein erfundener Name. Das heißt, wir können nicht nachprüfen, ob er vorbestraft ist. Es ist schon eine Leistung, alle Dokumente mit dem neuen Namen zu kreieren, einschließlich seiner Herkunft. Du sagtest, er war allein auf dem Standesamt für das Aufgebot?“ Marisa, deren Anspannung sich abwechselnd in Erschrecken und Entrüstung äußerte, nickte.
„Dann wird er dir irgendeinen gefälschten Wisch als Aufgebot unter die Nase gehalten haben. Das Standesamt hätte sonst Alarm geschlagen.“
„Die Hochzeit war also von vornherein nur ein Fake“, murmelte Marisa.
„Ein was?“, fragte die Mutter.
„Es war von vorne bis hinten alles erstunken und erlogen!“ Marisa zitterte. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich auf all das reingefallen bin!“
„Wir müssen bald die Hochzeit absagen. Wie peinlich, dass alle Geschenke kaufen, sich den Termin freihalten, und am Ende findet sie gar nicht statt“, mahnte Gudrun, ohne auf das Selbstmitleid ihrer Tochter einzugehen.
„Mama! Das hat doch noch Zeit! Es ist doch jetzt wirklich egal, ob die Hochzeit einen Tag früher oder später abgesagt wird! Wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, wie wir ihn zur Strecke bringen! Es muss doch einen Hinweis geben, den wir noch nicht gesehen haben!“ Gudrun blickte sie zweifelnd an, sagte aber nichts. Tiefe Falten hatten sich von den Nasenflügeln ausgehend bis hinunter zum Kinn gebildet und ließen sie älter aussehen als sie war. Alle Drei hingen ihren Gedanken nach. Plötzlich fiel Marisa etwas ein: „Sein Name! Sein Name müsste in seinem Jahrbuch von der Schule stehen! Die Bilder dort sind nicht untertitelt, aber irgendwo sind alle Schüler aufgelistet! Das ist immer so!“
Die Kellnerin kam. „Einen Espresso und einen Averna, bitte“, orderte Marisa und sah ihre Eltern mit dem Schimmer eines Triumphes an.
20. Das Jahrbuch
Mit überhöhtem Tempo fuhr Marisa mit ihrer Mutter an der Seite zu ihrer Wohnung. „Du musst jetzt nicht noch ein Knöllchen riskieren“, warnte Gudrun.
„Das wäre mein kleinstes Problem“, antwortete Marisa mit ironischem Ton. Sie wollte so schnell wie möglich dieser einen, vielleicht entscheidenden, Spur nachgehen. Sie hatte das Gefühl, jede Minute zählte, obwohl ihr Verstand eine andere Sprache sprach. Dennoch fuhr sie durch die Stadt, als gelte es, ein Rennen zu gewinnen. Gudrun war kurz entschlossen mitgefahren; die Eltern hielten es für besser, Marisa nicht alleine zu lassen. Claus würde nachkommen, sobald er die dringendsten Sachen im Büro erledigt hätte.
Die Hoffnung auf einen Hinweis zerbröselte mit dem Durchblättern des Jahrbuches. Diverse Klebeplättchen und Edding-Spuren hatten Laurens‘ richtigen Namen unkenntlich gemacht. Die Aufkleber waren vom Papier nicht mehr zu lösen. Die Unterseite haftete so fest, dass das Papier den Versuchen nicht standhielt und zerriss. Laurens hatte nicht nur seinen Namen durchgestrichen oder überklebt, sondern auch den Namen der Schule. Er hatte anscheinend an alles gedacht. Dass er nicht gleich das ganze Buch entsorgt hatte, hielt Marisa seiner sporadisch auftretenden
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