Dunkler Schnee (German Edition)
Sentimentalität zugute. Sie legte das Buch vor sich auf den Boden und blätterte Seite für Seite um. Es musste einen Hinweis geben! Sie überflog die Namen der Abiturienten. Volkers Mut, ihr seinen richtigen Namen genannt zu haben, erstaunte sie. Das ließ darauf schließen, dass er mehr Handlanger als Drahtzieher war. Er hätte eine gefälschte Krankenversichertenkarte vorlegen müssen, um als Patient aufgenommen zu werden. Sie haben nicht damit gerechnet, dass ich ihnen auf die Schliche komme, dachte Marisa und schluckte hart an den aufsteigenden Tränen.
„Hast du was gefunden?“, fragte ihre Mutter, die gerade ins Schlafzimmer kam. „Nichts, was wir verwerten können, aber ich suche noch.“
„Und wenn er gar nicht aus Baden-Württemberg kommt? Wenn er ganz woanders zur Schule gegangen ist?“
„Dann haben wir weniger als nichts, Mama, aber ich denke schon, dass er daher kommt. Manchmal klingt doch der Akzent noch durch.“
„Lass mich mitgucken. Vier Augen sehen mehr als zwei.“
Sie nahmen das Buch mit in die Küche und setzten sich an den Tisch. Gemeinsam blickten sie wie mit Argusaugen über die gammeligen Seiten. „Nichts. Alles durchgestrichen.“ Marisa seufzte. Doch Gudrun hatte den Blick mit einmal fest auf eine Seite gerichtet, die das Lehrerkollegium zeigte. „Der Name kommt mit bekannt vor“, sagte sie leise und legte ihren Finger auf die Liste der Namen.
„Hier, siehst du? Marlene Himmelbein – den Namen vergisst man nicht! Geh im Internet suchen! Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Frau ein Buch herausgebracht hat. Ich hab da mal was drüber gelesen. Sie hat bestimmt eine Homepage!“ Gudrun stieß ihre Tochter an. Marisa, ganz verdutzt, tat, wie ihre Mutter gesagt hatte, und schaltete ihren Computer ein. Wenige Minuten später hatten sie das Ergebnis: Es gab tatsächlich eine Marlene Himmelbein, die bis vor elf Jahren am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Baden-Baden tätig gewesen war!
„Bingo!“ Gudrun grinste. „Das wollte ich schon immer mal sagen.“
Marisa grinste zurück. „Okay, Miss Marple, dann suchen wir mal weiter.“
Sie gab den Namen der Schule ein, und das Internet zauberte brav die Seite der Lehranstalt auf den Monitor. „Da war jemand sehr fleißig“, sagte Marisa, „sieh mal: Ehemalige. Das ist die Seite, die wir brauchen.“ Und unter der Rubrik „Ehemalige“ fanden sich alle Schülerlisten der letzten 20 Jahre. Zufrieden lehnte sich Marisa einen Augenblick zurück. „Jetzt heißt es: suchen!“
Sie nahmen sich die Abiturientia 1991 vor und verglichen die Namen des Buches mit denen im Internet. Ein Name blieb übrig, den sie im Buch nicht fanden. Ein Name, der Marisa von nun an immer einen eisigen Schauer über den Rücken jagen würde, der sie immer daran erinnern würde, wie sie sich hat reinlegen und von der Liebe blenden lassen. Marco Schueler.
21. Licht und Schatten
„Sehr gut!“, lobte Claus Frau und Tochter. „Jetzt kriegen wir den Bastard dran!“ Er nahm den Hörer und rief seinen Freund an. „Herbert, du musst mir noch mal einen Gefallen tun … pass auf! Die Namen lauten Marco Schueler, Marco mit C und Schueler mit U E und Volker Meerbusch, ja, wie der Düsseldorfer Stadtteil … Großartig, danke dir. Ich bin dir was schuldig.“ Zufrieden legte er auf. „So, jetzt geht’s weiter! Marisa, pack alles Nötige, was du die nächsten Tage brauchst, und komm mit zu uns. Ich möchte nicht, dass du mit diesem Mistkerl noch mal zusammentriffst. Ruf ihn an und sag, deine Eltern möchten ihre Tochter vor der Heirat noch mal für sich alleine haben. Er geht ja davon aus, dass wir nicht wissen, dass er es ist, der uns erpresst. Er wird aber auch keine Rückfragen stellen, damit es für ihn gut läuft. So …“ Claus stand auf, strich mit der Hand über sein Jackett, „wir warten ab, was Herbert herausfindet. Wenn mein Instinkt mich nicht täuscht, wird es nicht wenig sein.“
Marisa lächelte; ihr Vater sprach Dinge gerne doppelt negativ aus, um seine positive Erwartung auszudrücken. Doch sie lächelte auch, weil der Albtraum, in den sie geraten war, zwar noch nicht endete, aber das Ende greifbarer wurde. Es war der berühmte Silberstreif am Horizont sichtbar, und sie hoffte auf strahlendes Tageslicht am Ende dieser Geschichte. So sehr ihr Verstand auch an sich und der Welt zweifelte, so sehr fühlte sie sich in Gegenwart ihrer Eltern wohl behütet wie in der Kindheit.
Da für Gudrun noch dringende Immobilienanfragen auf Beantwortung
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