Dunkler Schnee (German Edition)
des Anwalts standen, und traute sich nicht zu antworten. Sie hielt ihm ein Foto hin, das sie unter dem Scheibenwischer ihres Autos gefunden hatte. „Hast du wenigstens das Fenster reparieren lassen?“, brummelte Claus unfreundlich, aber wieder ruhiger.
„Nein, wann hätte ich das denn machen sollen?“
„Was ist das?“ Er setzte seine Brille auf und trat zu Marisa, um das Foto anzusehen. Es zeigte Volker und Marisa, eng beieinander stehend, die Lippen zum Kuss geschürzt; aufgenommen in einer Seitenstraße in der Kölner Innenstadt. Auf der Rückseite des Bildes stand: „Nett, Ihr Zwei. Das ist nur eines von vielen (anderen!) Bildern! Das würde sich gut in der Zeitung machen, nicht wahr?“
Claus zog seine Stirn in Falten. Marisa sagte kleinlaut, es tue ihr wahnsinnig leid, was sie ihm zumute.
Es klopfte. Nach Claus‘ „Herein!“ betrat ein junger Mann das Büro.
„Marisa, du kennst doch Herrn Rose schon, nicht?“ Marisa nickte.
„Ja, natürlich, hallo Alexander! Wie geht’s?“
Alexander Rose arbeitete seit über einem halben Jahr in der Kanzlei und zeichnete sich durch Fleiß, Ehrgeiz und Bissigkeit aus. Er war optisch unterrepräsentiert, wie Marisa befand. Das erste Mal mit ihm unterhalten hatte sie sich anlässlich des Umtrunks in der Kanzlei zu Claus’ Geburtstag. Er war höflich, zurückhaltend, unauffällig und langweilig. Seine Statur glich der eines nicht austrainierten Bodenturners.
Der junge Mann legte einen Aktenordner auf Claus‘ Schreibtisch und lächelte Marisa an. „Frau Demmer, nett Sie zu sehen! Sie kommen viel zu selten hierher.“
„Na ja, so lange sind Sie ja noch gar nicht in der Kanzlei, das beurteilen zu können, stimmt’s?“, antwortete Marisa kokett und setzte grinsend hinzu: „Wie sieht’s denn mit Ihrem Status aus?“
Alexander Rose lächelte immer noch. „Wie Sie schon sagen, so lange bin ich noch nicht hier, aber ich fühle mich in meinem jetzigen Status sehr wohl.“ Er zwinkerte.
Marisa sagte spitzbübisch: „Eine weise Antwort – hätte ich an Ihrer Stelle auch gesagt!“
Claus schaltete sich ein: „Danke, Herr Rose, ich sehe später in die Akte. Sie entschuldigen? Wir haben noch eine Familienangelegenheit zu besprechen.“ Claus wies den jungen Mann mit dem auffallend kleinen Kopf nickend und lächelnd zur Tür hinaus.
„Natürlich. Die Hochzeitsglocken – verstehe. Wiedersehen, Frau Demmer, viel Glück!“
Stirnrunzelnd blickte Marisa ihm nach. „Viel Glück? Wieso wünscht er mir Glück, Papa? Gratuliert man nicht mehr, sondern bedauert seine Mitmenschen, wenn sie heiraten wollen?“
„Du willst ja gar nicht heiraten“, sagte Claus zerstreut.
„Aber das weiß er doch nicht“, gab die Tochter zurück, „vermutlich hat der mit Heiraten gar nichts am Hut, ts! Wird er denn irgendwann mal Sozius?“
„Das ist geplant. Wenn die Zeit reif ist. Er ist nicht der übelste Jung-Anwalt, aber er muss sich seine Sporen erst noch verdienen.“ Claus sah auf die Uhr, dann schaute er sich noch mal das Foto an. „Weißt du was? Wir gehen jetzt essen und dann werden wir entscheiden, was zu tun ist. Deine Mutter kommt auch gleich, wir treffen sie auf der Mittelstraße.“
Er griff nach seinem Jackett, das an einem Garderobenständer hing. Bevor er die Tür öffnete, räusperte er sich, drehte sich zu Marisa um und sagte: „Wir schaffen das schon. Ich bin froh, dass du Mutter und mir vertraust.“
Marisa hatte plötzlich Tränen in den Augen, sie umarmte ihren Vater.
In einem der zahlreichen Stadtcafés mit Mittagsspeisen auf der Karte traf sich die Familie. Claus konnte hier sicher sein vor den Ratsmitgliedern, die die gehobenen Restaurants bevorzugten. Marisa sah ihrem Vater an, dass er sich schon fast so verfolgt fühlte wie sie selbst. Es hing für ihn viel von seiner politischen Situation ab; das wusste auch Laurens. Er hatte trotz seiner 60 Lenze noch lange nicht vor, sich zur Ruhe zu setzen. Zu viele Ideale schwirrten in dessen Kopf, die er versuchen wollte zu verwirklichen – als Anwalt und als Kommunalpolitiker.
„Ich habe folgenden Vorschlag“, begann Claus das Gespräch. „Ich werde 50.000 Euro überweisen. Ich hoffe, dass er sich damit zufriedengibt.“
„Meinst du, das wird reichen?“, zweifelte Gudrun.
„Gudrun, ich bin keine Melkkuh! Wir können über 250.000 relativ schnell verfügen, das weißt du, aber das Geld war, verdammt noch mal, für was anderes gedacht!“ Gudrun legte begütigend ihre Hand auf die ihres
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