Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)
Armen am Lenker fest und lehnte sich jedesmal, wenn er Gas gab, leicht zurück.
Er fuhr ein ums andere Mal um den Platz, ohne jeden Sinn und Verstand, schrammte mit dem metallbeschlagenen Stiefelabsatz über den Straßenbelag, wenn er die Maschine in die Kurve legte, ließ den Motor laut aufheulen, so daß die Fußgänger auf den Bordstein zurücktraten, wenn er nahte.
Dann bog er in eine schmale, im Schatten liegende Straße ein, wirbelte Zeitungspapier auf, als er Vollgas gab und breitschultrig und mit geschwellter Brust mitten durch eine Gruppe mexikanischer Kinder preschte, die nach allen Seiten davonstoben.
Das Telefon auf meinem Schreibtisch klingelte.
»Wir fliegen vermutlich dieses Wochenende ein. Bist du da?« meldete sich eine vertraute Stimme.
»Mary Beth?«
»Ich bin bei einer Zielfahndungsgruppe in Houston. Brian ist aus dem Verkehr gezogen. Wir sind dabei, ein paar Leute aus deiner Gegend dingfest zu machen.«
»Sag mir Bescheid, wenn ich etwas tun kann.«
»Ich glaube, du verstehst nicht ganz, worum es geht, Billy Bob. Der mexikanische Drogenfahnder, dieser Felix Ringo, der ist außer sich. Wir haben den Eindruck, daß du Garland Moon scharfgemacht hast.«
»Na und?«
»Ringo ist an einer Sache beteiligt, bei der es um mehr geht als das Wohl von Deaf Smith.«
»Mit so einem Typ teilt man nicht das Lager.«
»Ja? Nun, wie hat sich Franklin Delano Roosevelt einst über Somoza geäußert? ›Mag sein, daß er ein Mistkerl ist, aber er ist unser Mistkerl.‹«
»Ich fand diese Geschichte nie besonders komisch.«
»Nein, bestimmt nicht.«
Ich wartete darauf, daß sie noch irgend etwas sagte, aber es kam nichts. »Warum hast du angerufen?« fragte ich.
Ich hörte, wie sie leise auflegte. Ich nahm den Hörer vom Ohr und hielt ihn dann wieder hin, lauschte dem Freizeichen, als ob sich dadurch die Verbindung irgendwie wiederherstellen ließe. Ich starrte auf die Schatten am Turm des Gerichtsgebäudes, die einen dunkellila Ton angenommen hatten, wie ein Bluterguß nach einer schweren Prellung.
Ich ging nach Hause und briet mir im Hof ein Steak. Ich aß es auf der Veranda hinter dem Haus, setzte mich dann an den Schreibtisch in der Bibliothek, schlug Urgroßpapa Sams Tagebuch auf und versuchte im Schein der Lampe zu lesen. L. Q. Navarro saß in dem burgunderroten Sessel in der Ecke und wirbelte seine goldene, an einer Kette hängende Taschenuhr durch die Luft.
»Nimm’s ihr nicht allzu übel. Für die Regierung zu arbeiten und sich in einen Kerl wie dich zu verlieben, das haut wahrscheinlich einfach nicht hin«, sagte er.
»Nicht heute abend, L. Q.«
»Stonewall Judy hätte dir gewaltig den Marsch blasen können, aber man hat gemerkt, daß sie dein Vorgehen bewundert hat. Hat mir gefallen, als sie gesagt hat: ›Heften Sie sich den Stern wieder an, Billy Bob, oder sehen Sie zu, daß Sie sich von diesem Gericht fernhalten‹ Mit so einer Frau kann ich was anfangen.«
»Ich versuche mich zu konzentrieren.«
»Du mußt lockerlassen, dich von der Sache freimachen, die an dir nagt. Und wir beide wissen auch, was das ist.«
»Ich mein’s ernst, L. Q. Hör auf.«
»Du weißt nicht genau, ob es sich bei dem Mexikaner um den Richtigen handelt.«
»Ich seh sein Gesicht im Mündungsfeuer vor mir. Deine Messerklinge ist in seiner Niere abgebrochen.«
»Du willst ihn also umlegen und dich ein Leben lang fragen, ob du den Richtigen erwischt hast? Hast du dich nicht schon genug wegen dem Zeug gegrämt, das wir da drunten in Coahuila angestellt haben?«
Ich nahm Sams Tagebuch, schaltete das Licht in der Küche ein und las weiter. Hinter mir hörte ich L. Q.s Sporen klirren, dann war es einen Moment lang still, ehe sich seine Schritte in Richtung Vorsaal entfernten und sich in einem Windstoß verloren, der die Fliegengittertür aufriß und wieder zuschlug.
3. September 1891
Ich habe meine Jeans, mein blaues Baumwollhemd, meine Socken und Unterwäsche in einem großen Kochtopf gewaschen und am Abend, bevor ich losreiten wollte, auf einem warmen Felsen zum Trocknen ausgelegt. Danach habe ich meine Bibel, die Brille, das Wörterbuch, den Almanach, das Rasiermesser, ein Stück Seife und einen Karton Winchester-Munition in meine Satteltaschen gepackt und eine Decke in meinen Regenmantel eingerollt. Die Rose vom Cimarron hat sich alles angeschaut, aber kein Wort dazu gesagt. Ich weiß nicht, ob aus Kummer oder weil es ihr gleichgültig war. Sag mir einer, was schwerer auf einem lastet als das
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