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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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Notizblock. »Stecken Sie das Ding weg, und dann kommen Sie mit mir. Ich will Ihnen etwas zeigen. Wenn Sie den Grund für die Explosion verstehen wollen, sollten Sie wissen, was kurz davor passiert ist.«
    Er schob sich an ihnen vorbei und stapfte über den vom Regen schlammigen Hof. Jan und Stark folgten ihm zu einem Gebäude hinter den Ställen.

    Sie betraten eine weiß gekachelte Halle, an deren linker Seite sich drei Edelstahltische befanden. Auch wenn alles gründlich gereinigt worden war, konnten die Putzmittel dennoch den schwachen Geruch nach Blut und Dung nicht überdecken.
    »Dieses Schlachthaus ist das einzige Gebäude, das den Brand damals unversehrt überstanden hat«, erklärte Gessing. »Die Explosion ereignete sich in der Nacht, so gegen zwei. Es wurde viel darüber geredet, ob es wirklich nur an einer defekten Gasleitung gelegen hat, aber das Gegenteil konnte man nicht beweisen. Nach langem Hin und Her zahlte die Versicherung schließlich. Walter hatte seine Tochter im Testament übergangen. Soweit ich mitbekommen habe, hätte sie nur dann geerbt, wenn sie zum Zeitpunkt seines Todes volljährig gewesen wäre. Den Hof hat er seinem Schwager vermacht. Ich vermute, weil Walter verhindern wollte, dass alles verkauft werden muss. Aber sein Schwager wollte nichts damit zu tun haben. Kein Wunder, nach dem, wie Walter mit seiner Frau umgesprungen war. Also bot ich dem Schwager an, den Hof zu übernehmen, woraufhin er mir ein Geschäft vorschlug. Er überließ mir den Grund, wenn ich im Gegenzug für Tatjanas Pflege aufkommen würde. Dazu müssen Sie wissen, dass sie Walters Tochter aus erster Ehe ist. Ihre Mutter starb an Krebs. Ich habe eingewilligt und zahle seither jeden Monat an den Pfauenhof. Damals hielt ich das noch für ein gutes Geschäft, aber so ein Pflegeheim kann ziemlich teuer werden. Über die Jahre hat sich da ganz schön was zusammengeläppert. Ich will aber nicht jammern. Wer sollte sich sonst um das arme Ding kümmern?«
    »Warum sind wir hier?«, fragte Stark. »Was hat dieses Schlachthaus damit zu tun?«
    »Tja«, machte Gessing und räusperte sich, »hier ist am
Tag vor dem Brand etwas passiert, und wenn ich jetzt nicht völlig reif für die Klapsmühle bin, glaube ich zu wissen, nach wem sie suchen.«
    Wieder schob Gessing seine Hände in die Hosentaschen. Er wirkte auf einmal unbeholfen. Dann begann er zu erzählen.

73
    »Wie schon gesagt, war Tatjana Walters Tochter aus erster Ehe«, begann Gessing. »Ihre Mutter war eine nette Frau, nicht besonders hübsch, aber sie hatte das Herz am rechten Fleck. Wenn an besonders heißen Sommertagen oder am letzten Arbeitstag vor Weihnachten eine Kiste Bier für uns Arbeiter bereitstand, dann wussten wir, wem wir sie zu verdanken hatten. Das Bier hatte sie von ihrem Haushaltsgeld abgezweigt, was wir natürlich nie erzählen durften. Walter war ein Geizhals, der hätte sich eher für einen Groschen eine Blutblase zwicken lassen.
    Im Aussehen kam Tatjana ganz nach ihrer Mutter, sie hatte das gleiche strohblonde Haar, aber alles andere musste sie von ihrem Vater geerbt haben. Sie war ebenso derb, jähzornig und mürrisch wie er. Besonders beliebt war sie bei keinem von uns. Wer lässt sich schon gern von einer Göre wie ein Leibeigener behandeln?
    Der Umgangston auf dem Harderhof war rau, und nicht nur einmal hätte ich am liebsten gekündigt, aber Walter zahlte nun mal verdammt gut. Er war ein knausriger Schinder, aber beim Lohn konnte man ihm nichts nachsagen. Gute Arbeit wusste er zu schätzen.
    Als seine Frau Ende ‘89 starb, muss es eine Erlösung für
sie gewesen sein. Man hatte zuletzt regelrecht zusehen können, wie sie von Tag zu Tag mehr verfiel. Darmkrebs ist eine hässliche Sache, man stellt ihn meist viel zu spät fest, und dann geht es rasant abwärts.
    Ich will ja nicht schlecht über Tote reden, aber ich denke, Walter war an ihrer Krankheit nicht ganz unschuldig. Was diese brave Frau wegen ihm durchmachen musste, kann einen schon ins Grab bringen. Ganz besonders schlimm für sie wurde es, nachdem Walter von einem Jungbullen getreten worden war. Mitten ins Allerheiligste, verstehen Sie? Danach war sein Traum vom Thronfolger, der den Hof übernehmen sollte, endgültig ausgeträumt. Von da an wurde Walter vollends unausstehlich. Ist nicht selten vorgekommen, dass seine Frau sich im Haus verstecken musste, bis die blauen Flecke wieder verschwunden waren. Trotzdem ist sie bei ihm geblieben. Sie gehörte wohl noch zu der Generation, die

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