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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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Kopfes zu erkennen. Sie weinte.
    Wieder musste Jan an die Frau denken, die sich Jana nannte. Wusste sie, wie viel Leid ihr Wahn anderen verursachte? Und wenn ja, was empfand sie dabei? Ob sie
überhaupt etwas für andere Menschen empfinden konnte – etwas, das nicht durch ihren Wahn geprägt war?
    Thanners Worte hallten in seiner Erinnerung nach.
    Sie ist gefährlich!

71
    »Es gibt Neuigkeiten«, verkündete Rutger Stark, als sie das Haus des Betreuers erreicht hatten. Während der kurzen Fahrt hatte er mit seinen Kollegen in Fahlenberg telefoniert und dabei eine Unmenge Pfefferminzpastillen vertilgt, die – wie Jan vermutete – eine Art Substitutionsdroge für seine Nikotinabhängigkeit darstellten.
    »Inzwischen konnte Thanners Leiche geborgen werden«, sagte er. »Viel ist von ihm nicht übrig geblieben, er war sozusagen der eigentliche Brandherd.«
    Bei dieser Vorstellung schauderte Jan. »Weiß man schon, ob er bereits tot war, als sie ihn angezündet hat?«
    »Darum kümmert sich gerade die Gerichtsmedizin. Ich kann es nur für ihn hoffen.«
    »Sie sprachen von Neuigkeiten. Plural.«
    »Ja, die zweite Nachricht ist, dass sich Mirko Davolic in der Untersuchungshaft das Leben nehmen wollte. Er muss versucht haben, sich mit einem T-Shirt zu erhängen. Ist allerdings schiefgegangen. Durch die Strangulation wird ihm höchstwahrscheinlich ein Hirnschaden bleiben, meint der Arzt.«
    Mit einem zwiespältigen Gefühl dachte Jan an seinen ehemaligen Patienten. Einerseits erfüllte es ihn mit Genugtuung, dass Davolic unter den Folgen dessen litt, was er Carla angetan hatte, aber gleichzeitig empfand er auch
Mitgefühl mit ihm. Davolic hatte versucht, in einer Welt zu bestehen, die Menschen an Erfolg und Qualifikationen maß und für jemanden wie ihn keinen Platz bot. Seine Verzweiflung hatte ihn so weit getrieben, dass er sich hatte prostituieren müssen – und so war er zum Werkzeug für Janas krankhafte Eifersucht geworden, ohne es zu wissen.
    »Und was ist mit Carla? Gibt es irgendwelche neuen Hinweise?«
    »Tut mir leid«, sagte Stark mit aufrichtigem Bedauern. »Leider haben wir noch immer keine Anhaltspunkte über ihren Verbleib.«
    »Ist das nun eine gute oder schlechte Neuigkeit?«
    »Rein statistisch bisher noch gut.«
    »Bitte – Sie müssen Carla finden! Ich habe das schon einmal durchmachen müssen, als vor Jahren mein Bruder verschwand. Noch einmal packe ich das nicht.«
    »Ich verspreche Ihnen, dass wir unser Möglichstes tun.«
    Jan biss sich auf die Unterlippe und nickte. Es kostete ihn Mühe, den Gedanken zu verdrängen, dass Carla sich etwas antun könnte.
    »Nun sehen Sie sich das an. Ein Viehzüchter«, sagte Stark und lenkte damit vom Thema ab. Er zeigte aus dem Fenster auf das Schild am Hauptgebäude des Landwirtschaftsbetriebes. Rinderhof Gessing stand dort zu lesen.
    »Das könnte passen«, sagte Jan. »Erinnern Sie sich, was ich Ihnen über die beiden Zeichnungen erzählt habe, die Jana mir geschickt hat? Eine davon zeigte Rinder auf einer Weide.«
    »Dann sehen wir uns das mal an.«
    Stark kramte das letzte Pfefferminz aus der Packung und stieg aus dem Wagen.

72
    Werner Gessing war eine stattliche Erscheinung, ein vierschrötiger Endfünfziger mit rot geädertem Gesicht und einem Händedruck, als fasste man in einen mit Sandpapier bezogenen Schraubstock. In Latzhose und Stiefeln empfing er sie am Wohngebäude, machte jedoch keine Anstalten, Jan und Stark ins Trockene zu bitten. Stattdessen blieben sie unter dem Vordach, von dem der Regen troff. Gessing sah die beiden argwöhnisch an.
    »Was wollen Sie von mir?«
    Seine Stimme war rau und laut genug, um das Muhen und Kettengerassel aus dem nahe gelegenen Stall zu übertönen.
    »Wir würden gerne mit Ihnen über Tatjana Harder reden«, erklärte Jan.
    »Ist sie tot?«
    »Nein, wie kommen Sie darauf?«
    »Na, ein Polizist und ein Arzt … Was soll man da denken? « Er zuckte mit den massigen Schultern. »Wenn ich ehrlich sein soll, wäre es eine Erlösung für das arme Mädchen. Das ist doch kein Leben.«
    »Wie lange liegt der Unfall denn zurück?«, fragte Stark.
    Gessing rieb sich das Kinn. »Sie war damals … lassen Sie mich überlegen … vierzehn. Ja, vierzehn. Das war 1991.«
    »Können Sie uns erzählen, was passiert ist?«, fragte Stark und zog einen Notizblock hervor.
    »Warum interessiert Sie das?«
    »Wir müssen so viel wie möglich über Tatjana und den Unfall erfahren«, erklärte Jan.
    »Möglicherweise sind weitere Menschen

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