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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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nicht wahr? Ich habe irgendwann mal davon gelesen. Es war irgendetwas mit L. Lema … Lima …«
    »Du meinst Limerenz?«
    »Limerenz, richtig. Was genau geschieht da mit uns?«
    »Nun ja«, Jan zuckte mit den Schultern, »ganz unromantisch gesagt: Du lernst jemanden kennen, der aufgrund mehrerer Faktoren deinem Partnerschema entspricht, und dein Körper beginnt Hormone auszuschütten. Dopamin, Serotonin, Oxytocin und noch einige andere,
die dich wie auf Wolken schweben lassen. Dein Wahrnehmungsspektrum verengt sich, und alles, was dann noch zählt, ist die Person, in die du dich verliebt hast. Du fühlst dich, als hättest du Drogen genommen.«
    »Ja, ich glaube, so fühlt es sich an«, sagte Rudi mit versonnenem Blick. »Ich fürchte mich nur ein wenig davor, dass es wieder nachlassen könnte.«
    »Es wird nachlassen«, versicherte ihm Jan. »Auf die Dauer würdest du es sonst nicht aushalten. Aber wenn es wirklich die Richtige ist, wird ein reiferes Gefühl daraus werden. Nennen wir es die ›wahre Liebe‹, auch wenn diese Bezeichnung abgegriffen und kitschig klingen mag.«
    Wieder musste Rudi lachen. »Wieso kitschig? Klingt doch wunderbar!«
    Jan schmunzelte. »So oder so, auf alle Fälle wünsche ich dir viel Glück da unten. Pass auf dich auf, alter Knabe.«
    Rudi zwinkerte ihm zu. Er war noch immer rüstig, trotz seiner leicht gebeugten Haltung, den schlohweißen Haaren und dem Faltennetz in seinem Gesicht; doch wie er jetzt so spitzbübisch lächelte, glaubte Jan einen jungen Mann vor sich zu haben, den die Schönheitskönigin zum Abschlussball eingeladen hatte.
    Dann wandte Rudi sich zum Gehen, doch als er schon bei Jans Gartentür angekommen war, sah er sich noch einmal zu ihm um.
    »Sag, Jan, was wäre eigentlich, wenn es nicht mehr aufhört ? Was wäre, wenn die Verliebtheit, diese Limerenz, für immer andauern würde, statt zu etwas Vernunftgesteuertem zu werden?«
    »Willst du es wirklich wissen?«
    »Deswegen frage ich ja.«
    Jan ließ den Finger neben der Schläfe kreisen. »Dann würdest du verrückt werden.«

13
    Felix Thanner saß in der beklemmenden Dunkelheit des Beichtstuhls und wartete. Die Kabine war erfüllt vom Geruch nach Sandstein, kaltem Weihrauch, Holz und dem schweren Stoffbezug seines Stuhls und der Kniebank – ein Geruch, den Thanner unweigerlich mit dem Begriff »Sünde« verband.
    Die Christophorus-Kirche war im Jahr 1728 erbaut worden, und der Beichtstuhl dürfte aus derselben Zeit stammen. Wie viele Sünden mochte er wohl schon gehört haben? Früher sicherlich mehr als heutzutage, denn wie jede Woche an den beiden Beichtvormittagen saß Thanner auch heute die meiste Zeit allein im Dunkeln, während die beiden Stunden für ihn träge dahinzogen.
    Außer der einundachtzigjährigen Antonia Schiller hatte sich heute noch kein reumütiges Gemeindemitglied sehen lassen. Die alte Frau hatte ihm den Diebstahl einer Dose Seehasenrogen gestanden – weil sie wenigstens einmal in ihrem Leben den Geschmack von Kaviar kennenlernen wollte, sparsam, wie sie war, aber die Ausgabe scheute. Thanner hatte ihr die Absolution erteilt, ihr drei Vaterunser zur Buße aufgegeben, und als sie danach gegangen war, hörte er wieder den Wind im Deckengebälk flüstern.
    Als die zwei Stunden fast um waren und Thanner sich insgeheim schon freute, dem muffigen Dunkel zu entkommen, vernahm er das schwere Kirchenportal, das gleich darauf wieder krachend ins Schloss fiel. Schritte hallten den Seitengang entlang, und Thanner sah durch das Gitterfenster des Beichtstuhls, wie die Umrisse einer Person an ihm vorbeiglitten. Dann öffnete sich die Tür zur Mittelkabine, und gleich darauf vernahm er das Rascheln von Stoff im Dunkel nebenan.

    »Herr, vergib mir, denn ich habe gesündigt«, flüsterte eine Frauenstimme.
    Es war eine junge Stimme, auch wenn sich ihr Alter nur schlecht einschätzen ließ. Die Frau konnte Anfang zwanzig oder auch Mitte dreißig sein. Auf jeden Fall hörte Thanner sie heute zum ersten Mal.
    »Der Herr, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Einsicht deiner Sünden«, setzte er zur üblichen Begrüßung an, doch die Frau unterbrach ihn.
    »Keine Floskeln!«, zischte sie. »Das ertrage ich nicht.«
    »Also gut, keine Floskeln. Sag einfach, was dich bedrückt. «
    Thanner konnte sie atmen hören. Es klang, als ringe sie mit sich, ob sie nicht einfach wieder gehen sollte.
    »Ich … weiß nicht, ob ich das kann«, flüsterte sie. »Andererseits …«
    »Ja?«
    »Ich … ich muss ganz

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