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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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daran ist, dass er ebenso fühlt. Ich habe es in seinem Blick gesehen. Wenn er mich ansieht, dann spüre ich, dass es das Gute in dieser Welt gibt. Ich habe so viel Schlimmes gesehen, so
viel Blut und widerliche Dinge, aber ein Blick von ihm genügt, um es mich vergessen zu lassen.«
    Thanner krampfte die Hände um seine Knie, dass es wehtat. Er saß hier mit einer offensichtlich Geistesgestörten. Sie hatte ihm zwei Morde gestanden und schien unter einer Art Liebeswahn zu leiden. Der dritte Mann, von dem sie ihm erzählte, würde ihr nächstes Opfer sein. Wahrscheinlich würde sie ihn ebenfalls töten, wenn sie es in ihrem Wahn für notwendig hielt. Immerhin war sie bereits zweimal vom Balken der Scheune gesprungen und hatte festgestellt, dass es einfacher war, als sie dachte.
    Was soll ich nur tun? Gott, sag mir doch, was ich tun soll!
    »Bereust du, die beiden Männer getötet zu haben?« Thanner fühlte, dass er trotz der Kälte im Beichtstuhl schwitzte. Seine Stimme zitterte.
    »Deshalb bin ich gekommen.« Wieder war ihre Stimme zu einem scheuen Flüstern geworden. »Es tut mir sehr leid, was ich getan habe. Auch wenn ich keine andere Möglichkeit gehabt habe. Ich konnte doch nicht zulassen, dass sich dieser Kerl zwischen ihn und mich stellt. Nur, weil er etwas über mich wusste, was keiner wissen darf. Nicht jetzt, wo ich ihn endlich gefunden habe.« Sie schluchzte. »Trotzdem weiß ich natürlich, dass es falsch gewesen ist, und ich bitte Gott, mir zu vergeben. Ich muss wieder rein sein. Für ihn .«
    »Gott vergibt jede Sünde, die man aufrichtig bereut«, sagte Thanner und zwang sich zu einem festen und überzeugenden Tonfall. »Aber er kann dich nur von dieser schweren Sünde lossprechen, wenn du völlige Einsicht in deine Taten zeigst und die Konsequenzen dafür trägst. Deshalb musst du dich der irdischen Gerichtsbarkeit stellen.«
    »Sie wollen mir sagen, dass ich mich der Polizei stellen soll, weil das Gottes Wille ist?«

    Thanner glaubte, die Kälte aus dem Dunkel nebenan am ganzen Körper zu spüren. Noch nie in seinem Leben hatte er derart gefroren wie jetzt und noch nie eine solche Angst gehabt – denn wer sagte ihm, dass diese Verrückte nicht jeden Moment zu ihm herüberkommen und auf ihn losgehen würde.
    Er musste sich überwinden weiterzusprechen. »Ja, das will ich damit sagen. Jeder muss für seine Taten einstehen, erst dann kann Gott ihm vergeben. Reue und Schuldgeständnis sind nur der erste Schritt. Ihnen folgt die Buße und …«
    Sie wartete seine Erklärung nicht ab. Stattdessen schnellte sie hoch und stürmte aus dem Beichtstuhl.
    Thanner schrak auf seinem Sitz auf, als sie sich gegen die Tür zu seiner Kabine warf. Durch das Holzgitter konnte er einen Teil von ihr sehen. Sie trug einen hellen Regenmantel und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, so dass Thanner nur eine einzelne blonde Strähne erkennen konnte.
    Die Frau schlug mit der flachen Hand gegen die Tür, noch fester als vorhin. Gleich würde das Holzgitter splittern, schoss es Thanner durch den Kopf.
    »Hast du Angst vor mir?«, fuhr sie ihn an. »Los, sag schon! Hast du Angst vor mir?«
    Natürlich hatte Felix Thanner Angst vor ihr. Zitternd stand er in seiner Kabine. Er war ihr hilflos ausgeliefert. Diese Frau war hochgefährlich, und er … er war schon immer zu schwach und zu ängstlich gewesen, sich gegen körperliche Gewalt zu wehren. Schon in der Schule war er ein auffallend dürrer, schüchterner Kerl gewesen, was die üblichen Raufbolde weidlich ausgenutzt hatten. Sie hatten ihm Regenwürmer in sein Pausenbrot gelegt und ihn gezwungen hineinzubeißen, und als er sich vor Angst eingenässt
hatte, hatten sie ihn ausgelacht. Und auch jetzt, viele Jahre später, glaubte er, dass er sich gleich wieder in die Hosen machen würde.
    Aber nun war er erwachsen – und er stand im Dienst einer höheren Macht. Auf sie musste er jetzt vertrauen. Er hatte einen Auftrag, den es zu erfüllen galt, so wie man es ihm einst beigebracht hatte. Also nahm er all seinen Mut zusammen.
    »Ja«, sagte er. »Ja, ich habe Angst vor dir. Aber noch mehr Angst habe ich um dich. Du brauchst Hilfe, und die möchte ich dir anbieten. Bitte lass dir von mir helfen.«
    Sie wich zurück, aber sie ging nicht weg. Für eine kleine Ewigkeit standen sie sich schweigend gegenüber, und nur die Tür des Beichtstuhls trennte sie voneinander. Thanner hörte ihr schnelles Atmen. Fast konnte er spüren, wie es in ihr arbeitete.
    »Du weißt, dass du

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