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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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zögern lassen. »Er war nett. Sehr nett sogar. So nett, dass ich glaubte, ich würde ihn lieben. Und ich war mir sicher, er würde meine Gefühle erwidern. Aber dann … Wissen Sie, wie es sich anfühlt, wenn man abgewiesen wird? Wenn man feststellt, dass man sich gänzlich in einem Menschen getäuscht hat?« Sie stieß ein bitteres Lachen aus. »Ach nein, das können Sie ja gar nicht wissen. Sie dürfen ja nur Gott lieben.«
    »Das stimmt nicht ganz«, entgegnete Thanner, während er fieberhaft überlegte, was er nun tun sollte. »Es gibt sehr wohl auch Menschen, die ich liebe.«
    »Aber nicht so, wie ich lieben will.« Ihre Stimme war lauter geworden. Sie klang zornig. »Ich habe ein Recht darauf, zu lieben und geliebt zu werden, verstehen Sie? Aber wenn man dann dahinterkommt, dass dieser Kerl sich nichts aus einem macht, weil er sich überhaupt nichts aus Frauen macht … weil er lieber an irgendwelchen Kerlen herumfingert … dieses widerliche Subjekt !«
    Thanner spürte die Kälte und den Hass, die durch jede noch so kleine Öffnung des Gitters zu ihm drangen. Er musste all seine Beherrschung aufbringen, nicht davonzulaufen. Er war mit dieser Situation absolut überfordert, das wusste er, aber was sollte er tun?
    Reiß dich zusammen. Gott ist bei dir . Du bist nicht allein!
    »Deshalb hast du ihn getötet?«

    »Ja. Es ist einfach passiert. Ich war wütend, und plötzlich war er … tot. Und dann bin ich weggelaufen. Weg, einfach nur weg. Es hat mir so leidgetan, und dann auch wieder nicht. Ich meine, er war es doch, der mich getäuscht hat. Er hatte mir falsche Zeichen gegeben, hat sich in meinen Kopf geschlichen und mit meinen Gefühlen gespielt, und dann ist er auf ihnen herumgetrampelt. So jemand hat es doch verdient, bestraft zu werden, oder?«
    Sie ist verrückt. Diese Frau ist verrückt. Ich sitze hier mit einer Wahnsinnigen zusammen!
    »Niemand hat den Tod verdient.« Er versuchte, ruhig und bestimmt zu klingen. »Nur Gott kann über Leben und Tod entscheiden.«
    »Dann war ich wohl sein Werkzeug.« Thanner glaubte, ein Lächeln aus ihren Worten herauszuhören. »Sonst hätte er mich nicht beschützt. Niemand hat je herausgefunden, was ich getan habe. Sie haben mich gesucht , ja, aber sie wussten nicht, wer ich bin . Bis dieser andere Kerl aufgetaucht ist.«
    »Der zweite, den du getötet hast?«
    Ein leises Seufzen. »Wissen Sie, was wirklich merkwürdig ist?«
    Thanner faltete die Hände. Er zitterte am ganzen Leib. »Nein, sag du es mir.«
    »Es ist gar nicht so schwer, einen Menschen zu töten. Erst recht nicht, wenn man es zuvor schon einmal getan hat.« Wieder glaubte er, dass sie lächelte. Ihre Worte hörten sich versonnen an, so als erzählte sie von einer angenehmen Erinnerung. Und wie um ihm dies zu bestätigen, sagte sie: »Dort, wo ich aufgewachsen bin, gab es eine große Scheune. Als Kind habe ich ab und zu dort gespielt. An der Decke führte ein Balken entlang, und man konnte von dort oben ins Heu springen. Zuerst hatte ich unheimliche
Angst davor, zu springen. Es war sehr hoch, wissen Sie?«
    »Aber du bist gesprungen?«
    »Ja.« Nun war er sich sicher, dass sie lächelte. »Es ist seltsam. Du denkst, du schaffst das nie. Aber dann ist es nur ein ganz kurzer Moment, in dem du dich entscheidest. Und wenn du erst einmal gesprungen bist und weißt, wie es sich anfühlt, fällt es beim zweiten Mal ganz leicht.«
    Thanner schluckte. »Willst du mir damit sagen, du hättest Gefallen daran gefunden?«
    Er hatte kaum ausgesprochen, als sie so heftig mit der flachen Hand gegen das Gitter schlug, dass er zurückfuhr.
    »Für was halten Sie mich? Für eine Verrückte? Für eine, der es Spaß macht, zu töten?«
    »Niemand hält dich für …«
    »Ist Ihnen eigentlich klar, wovon ich rede? Ich habe zwei Menschenleben ausgelöscht! Diese beiden Männer hatten eine Mutter, die sie geliebt hat, und einen Vater, der ihnen zeigte, wie das Leben funktioniert.«
    »So wie es bei deinen Eltern war?«
    Sie schwieg kurz, dann fügte sie leise hinzu: »Nein, die waren bestimmt nicht so wie sie. Aber das ist jetzt auch nicht mehr wichtig.«
    »Was ist dann wichtig?«
    »Dass ich jetzt einen Menschen gefunden habe, der es wert ist, geliebt zu werden«, sagte sie sanft, und man hätte nicht denken sollen, dass sie ihn gerade noch angeschrien hatte. »Diesmal bin ich mir sicher. Bei dem anderen hatte ich mich geirrt , aber bei ihm weiß ich es.« Sie kicherte wie ein kleines Mädchen. »Und das Allerschönste

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