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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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mit Thanner zu sprechen.
    Erst recht, nachdem sie mitbekommen hatte, was er heute Vormittag getan hatte. Er hatte Angst vor ihr und ihr deswegen eine Falle gestellt, und vorhin hatte sie ihn dann auf dem Klinikgelände wiederentdeckt. Das war nicht gut. Das konnte gefährlich werden, wenn sie nicht besser aufpasste.
    Nein, der ketterauchende Polizist war keine Gefahr für Jan und sie. Aber der Pfarrer … der Pfarrer .
    Wieder ließ ihr Atemnebel auf der Scheibe nach, und nun sah sie, wie sich die beiden Männer trennten.
    Du hast ihn abgewimmelt, nicht wahr, mein Liebster? Ja, das hast du.
    Nicht mehr lange, dann wäre dieses ganze Versteckspiel
ohnehin nicht mehr nötig. Dann würde es keine Rolle mehr spielen, was die anderen von ihnen beiden dachten.
    Aber bis dahin müssen wir vorsichtig sein. Wir müssen aufeinander aufpassen. Du und ich, Jan. Nur noch für kurze Zeit. Bis alles für uns bereit ist.
    Ein Geräusch hinter ihr riss sie aus ihren Gedanken. Jemand kam zur Tür herein. Sie nahm sich zusammen, schüttelte ihren Zorn ab, wandte sich um und lächelte.
    Nicht mehr lange , dachte sie. Nicht mehr lange.

26
    Als Jan sein Büro betrat, lächelte Bettina ihm entgegen.
    »Wir haben zwei Neuzugänge«, sagte sie. »Ich habe Ihnen die Akten auf den Tisch gelegt.«
    Jan warf einen kurzen Blick auf die beiden Patientenakten. Normalerweise gab es zum Schichtwechsel ein kurzes Übergabegespräch, doch Julia Neitinger, die Jan nun ablösen sollte, schien nicht mehr auf der Station zu sein.
    »Ist Frau Dr. Neitinger denn schon gegangen?«
    Bettina schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist heute gar nicht zum Dienst erschienen.«
    »Ist sie krank?«
    »Keine Ahnung«, sagte die junge Schwester mit einem Schulterzucken. »Sie hat sich nicht abgemeldet. Frau Dr. Kunert ist kurzfristig für sie eingesprungen. Sie ist aber vor ein paar Minuten gegangen. Ich soll Ihnen ausrichten, dass sie zu einem privaten Termin musste und nicht länger auf Sie warten konnte.«

    »Ich bin aufgehalten worden«, murmelte Jan und dachte an Julia.
    Seltsam, unentschuldigtes Fehlen passte nicht zu ihr. Gut, sie war launisch, und es war nicht immer einfach, mit ihr klarzukommen – vor allem nicht, wenn sie einem im betrunkenen Zustand auf der Damentoilette Avancen machte , dachte Jan –, aber als Ärztin war Julia klar strukturiert und zuverlässig. Sie mochte privat einige Schwierigkeiten haben, insbesondere was den Umgang mit Alkohol und Männern betraf, aber beruflich war sie eine ganz andere Person. Jemand, auf den man sich verlassen konnte. Allein aus Schamgefühl wäre sie nicht zu Hause geblieben, dafür nahm sie ihre Arbeit zu ernst.
    Ob ihr etwas zugestoßen war? Vielleicht war sie ernstlich krank?
    Er überlegte, ob er sie zu Hause anrufen sollte, entschied sich jedoch dagegen.
    »Ich habe übrigens noch etwas für Sie«, sagte Bettina und nahm ein Stück Alufolie von einem Teller.
    »Hier, das ist von Lutz aus der Frühschicht. Er hat heute Geburtstag. Das ist echte Bresaola, soll ich Ihnen sagen, und Sie sollen es sich schmecken lassen.«
    Sie hielt Jan den Teller entgegen, auf dem sich luftgetrocknete Schinkenscheiben, Oliven und Weißbrotstücke stapelten. Ihr italophiler Kollege schien es besonders gut gemeint zu haben.
    »Oh, vielen Dank.«
    Jan nahm den Teller, und Bettina musste seinen Blick dabei richtig gedeutet haben.
    »Okay, ich gesteh’s«, sagte sie und wirkte etwas verlegen, »ich habe Ihnen meine Portion dazugelegt. Aber verraten Sie es ihm bitte nicht. Lutz hat ihn sich extra von seiner Schwägerin aus Milano schicken lassen.«

    »Natürlich«, sagte Jan und stellte den Teller vor sich ab. »Sie mögen wohl keinen Schinken?«
    »Ich bin überzeugte Vegetarierin. Wissen Sie, meine Mutter hat als Verkäuferin in einer Metzgerei gearbeitet, als ich noch klein war, und ich fand es schon damals eklig, die zerteilten Tiere in der Auslage anschauen zu müssen. Ich kam mir da immer vor wie in der Pathologie. Ich weiß noch, der Metzger hat mir einmal ein Stück Rindersalami gegeben und darauf gedrängt, dass ich sie vor seinen Augen probiere. Seine Spezialität, hatte er gesagt. Danach war mir so schlecht, dass ich sofort aufs Klo gerannt bin.« Sie sah zu Jans Teller und machte eine entschuldigende Geste. »Sorry, ich wollte Ihnen den Appetit nicht verderben. Kann ja jeder halten, wie er will. Nur für mich ist Fleisch eben nichts.«
    Auf einmal hatte Jan Bilder vor sich. Bilder von einem Rosenstrauß, roten Kleidern –

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