Dunkler Wahn
verstehen gibt, dass sie aus seiner Sicht ein Fall für die Klapsmühle sei.«
»Psychiatrische Fachklinik.«
»Wie bitte?«
»Psychiatrische Fachklinik. Das ist der Begriff, den wir bevorzugen.«
Stark hob entschuldigend die Hände. »Natürlich. Verzeihen Sie, es war nicht so gemeint. Also, Nowak empfiehlt ihr, sich psychiatrisch behandeln zu lassen. Das
bringt sie erst recht in Rage. Sie packt ihn am Schopf, und bevor er sich’s versieht, reißt sie seinen Kopf zwischen Auto und geöffnete Tür und wirft sich mehrmals mit aller Wucht dagegen. Erst als er tot ist, begreift sie, was sie getan hat. Sie lässt von ihm ab, schnappt sich den Computer und läuft davon. Das ist natürlich reine Spekulation, aber was halten Sie davon?«
Jan zuckte mit den Schultern. »Denkbar, dass es so gewesen sein könnte.«
»Und?« Der Polizist sah ihn erwartungsvoll an. »Gibt es irgendjemanden in der Klinik, dem Sie eine solche Tat zutrauen würden?«
»Hören Sie, ich bin nicht mit allen Fällen in diesem Haus vertraut. Natürlich kann es vorkommen, dass eine psychisch kranke Person einen Wutausbruch hat, manchmal auch mit ernsten Folgen, aber ich kann deshalb ja nicht alle Patienten der Waldklinik unter Generalverdacht stellen.«
»Das habe ich auch nicht von Ihnen verlangt, Dr. Forstner. Aber gesetzt den Fall, es gäbe eine Patientin, der Sie eine solche Tat zutrauen, würden Sie es mir dann sagen?«
»Warum kommen Sie damit ausgerechnet zu mir? Wenn Sie Auskunft über unsere Patienten möchten, brauchen Sie eine richterliche Verfügung und müssen sich an den Klinikleiter wenden. Warum also ich?«
»Weil Nowak sich an Sie gewandt hat. Er hätte sich schließlich an jeden Psychiater hier wenden können. Aber er wollte sich ausgerechnet mit Ihnen treffen. Warum sollte er das tun, wenn er nicht gedacht hätte, dass Sie die Frau kennen?«
»Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Unter meinen Patientinnen befindet sich keine, die als mögliche Täterin infrage käme.«
»Auch nicht unter Ihren ehemaligen Patientinnen? Ich meine, wie viele Leute behandeln Sie im Jahr? Hundert? Zweihundert? Oder mehr?«
Jan atmete tief durch, ehe er antwortete. »Herr Stark, unser Deal war, dass wir uns sagen, was wir über diesen Fall wissen . Von Vermutungen oder wilden Verdächtigungen war nicht die Rede. Das wenige, was ich weiß, habe ich Ihnen bereits gesagt. Einen konkreten Verdacht im Hinblick auf meine Patientinnen habe nicht.«
Stark legte den Kopf schief. »Auch keine, die Sie in Schutz nehmen würden?«
»Nein, bestimmt nicht«, versicherte ihm Jan. »Schon gar nicht bei einem Mord.«
Das entsprach auch der Wahrheit. Eine Mörderin hätte er niemals in Schutz genommen, aber er würde alles tun, um seine Patientinnen vor einer polizeilichen Befragung zu bewahren, wenn er selbst dazu keinen berechtigten Anlass sah.
»Na schön«, seufzte der Polizist. »Ich halte Sie ohnehin schon viel zu lange von Ihrer Arbeit ab. Aber eine allerletzte Frage habe ich noch.«
»Dann fragen Sie.«
Ein durchdringender Ausdruck trat in das Gesicht des Polizisten. Es war, als wollte er Jans Gedanken lesen, und für einen Augenblick hätte Jan schwören mögen, dass Stark dazu sogar in der Lage war.
»Ich weiß, dass Sie etwas vor mir zurückhalten«, sagte Stark, und es klang nicht einmal wie ein Vorwurf. »Ich kann es Ihnen natürlich nicht beweisen, aber mein Gespür trügt mich nur sehr selten. Deshalb weiß ich auch, dass hinter Ihrer Zurückhaltung keine böse Absicht steht. Wahrscheinlich haben Sie sehr wohl eine Person im Auge, aber es fehlt Ihnen an Beweisen. In dem Fall würde ich an Ihrer Stelle
ebenfalls stillhalten, bis ich mehr weiß. Aber vielleicht könnten Sie mir zumindest einen Anhaltspunkt geben? Und sei es nur, damit ich sehe, dass ich mit meiner Einschätzung Ihrer Person nicht völlig falsch liege.«
Für einen Augenblick standen sie sich schweigend gegenüber. Dann sagte Jan: »Ich denke, wir sind beide gut in unserem Beruf. Und wir lieben Fakten.«
Schmunzelnd griff der Hauptkommissar nach seinen Zigaretten. Wieder nahm er eine davon heraus, riss den Filter davon ab und klopfte sie auf sein Päckchen. »Deshalb haben Sie mein Wort, dass wir keine Ihrer Patientinnen unnötig belästigen werden. Also?«
»Na gut, aber es ist nur … wie nannten Sie es? … reine Spekulation .«
Stark ließ sein Feuerzeug aufschnappen und nickte. »Nicht mehr und nicht weniger.«
»Gab es in den letzten Jahren
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