Dunkler Wahn
Stuhl zurück. »Offen gesagt, je mehr ich versuche, das alles zu verstehen, desto verworrener wird es.«
»Wir dürfen nicht den Fehler machen, ihren Wahn verstehen oder erklären zu wollen«, sagte Jan. »Glauben Sie mir, das ist in den meisten Fällen schlichtweg unmöglich.«
»Ich dachte immer, genau das sei die Aufgabe eines Psychiaters? «, warf Stark erstaunt ein.
»Nein, unsere Aufgabe ist eine andere. Wir ermitteln, welche Auswirkungen eine psychische Störung auf die Betroffenen hat, und versuchen, hinter die Ursachen zu kommen. Nur so können wir eine passende Therapie finden. Um nichts anderes geht es. Würde ich mich in jeden Wahn meiner Patienten hineindenken wollen, um ihn bis ins letzte Detail zu verstehen, könnte ich mich nach kurzer Zeit selbst einliefern lassen.«
»Das leuchtet mir ein«, sagte Stark und nickte nachdenklich. »Aber für einen Ermittler gibt es nun einmal nichts Schlimmeres, als das Motiv des Täters nicht zu kennen. Seit Tagen suchen wir vergeblich nach einer Spur, die uns weiterbringt, aber wir haben nichts, wo wir ansetzen könnten.«
Der Hauptkommissar lehnte sich auf die Tischplatte und sah Jan eindringlich an. »Hören Sie, Dr. Forstner. Ich will Ihnen ja glauben. Aber wenn man sich allein auf die Indizien stützt, müsste man davon ausgehen, dass der Anschlag auf Frau Weller gar kein Anschlag gewesen ist.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun ja«, Stark machte eine betretene Geste, »es gibt keinen Beweis, dass eine dritte Person in diesen Vorfall involviert gewesen ist. Der Hotelier hat bezeugt, dass Frau Weller selbst das Zimmer gebucht und bei ihm bezahlt hat.«
»Aber der Mann ist so gut wie blind«, warf Jan ein.
»Natürlich, das weiß ich, Dr. Forstner, und wahrscheinlich hat sich die Täterin genau das zunutze gemacht. Sie mag verrückt sein, aber dennoch weiß sie offenbar genau, was sie tut. Das bestätigt Ihre Theorie einer perfekten Tarnung. Aber auch wenn ich die Aussage des Hoteliers in Zweifel ziehe, gibt es noch die Bestätigung der Escort-Agentur, die Herrn Davolic in das Hotel geschickt hat. Dort versicherte man mir, dass eine Frau Carla Weller angerufen hat.«
Jan schüttelte energisch den Kopf. »Nein, nicht Carla, sondern Jana, die sich für sie ausgegeben hat!«
Stark rieb sich seufzend die Schläfen. »Die Vermutung liegt freilich nahe, aber wer auch immer es gewesen ist, die Anruferin hat Frau Wellers Handy benutzt. Das hat uns ihr Telefonanbieter bestätigt. Und das Handy haben wir in Frau Wellers Wagen vorgefunden. Es lag in ihrem Handschuhfach. «
»Jetzt machen Sie aber mal halblang«, fuhr Jan ihn an. »Carla soll dort angerufen und ihre Vergewaltigung bestellt haben? Das glauben Sie doch wohl nicht im Ernst?«
»Natürlich kann ich es mir auch nicht vorstellen, aber hier steht Aussage gegen Aussage.«
Jan rang um Beherrschung. »Herrgott, was soll denn das? Carla wurde vergewaltigt! So etwas bestellt man sich doch nicht wie eine Pizza.«
Stark atmete tief durch und sah vor sich auf die Tischplatte.
»Ich habe gestern ein längeres Gespräch mit der Betreiberin dieser Agentur geführt. Glauben Sie mir, danach habe ich erst einmal an meinem gesunden Menschenverstand gezweifelt. Auch wenn sich das unglaublich anhört, aber angeblich werden solche … na ja, diese Frau nannte es Sonderwünsche , häufiger geordert, als man sich vorstellen könnte. Davolic und noch so ein Kerl aus der Agentur haben sich sogar darauf spezialisiert. Rollenspiele, Vergewaltigungsfantasien, SM und all das Zeug. Damit sei gutes Geld zu machen.« Der Hauptkommissar sah zu Jan auf.
Ein Gefühl tiefster Verzweiflung nahm Jan fast den Atem. »Das glaube ich einfach nicht«, flüsterte er. »Es muss doch irgendeine Spur geben?«
Stark lehnte sich zurück und sah ihn mitfühlend an. »Leider nein. Nach der Indizienlage hat Frau Weller diesen Callboy und das Hotelzimmer selbst bestellt und ist auch selbst zu diesem Treffen gefahren. Bei den Handschellen und dem Knebel handelt es sich um Massenprodukte, die Sie in jedem Sexshop oder über das Internet ordern können. Und auch darauf haben wir keine fremden Fingerabdrücke finden können. Nur die Ihrer Lebensgefährtin und von Davolic.«
»Aber das ist doch Irrsinn! Carla ist in der Tiefgarage überfallen worden. Es muss einen Kampf gegeben haben.«
»In der Tiefgarage gibt es keine Überwachungskamera, und auch sonst haben wir nichts finden können, das auf einen Kampf oder dergleichen hingewiesen
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