Dunkler Winter
geordnet.
Durch die dünnen Trennwände konnte ich vieles von dem hören, was vorging. Wecken, Frühstück, Exerzieren, Arbeitsdienst, Unter weisung, Mittagsmahl, Waffenübungen, mehr Exerzieren, Abendmahlzeit, Einteilen der Wachen, Zap fenstreich. Alles so regelmäßig wie der Stuhlgang eines Soldaten der Stadtwache und durch Glockentöne angezeigt. Vertraute Routine. Aber mit nervigen Einzelheiten. Fanatische Reinlichkeit, zum Beispiel. Kein Fluchen. Kein Alkohol. Kein Tabak.
Die meisten Unterweisungen waren für die Novizin nen, halbwüchsige oder noch jüngere Mädchen, während die fertigen Ordensschwestern diese Stunden meistens mit Waffenübungen zubrachten. Ich lag da und hörte mir alles an.
Meine eigene flüchtige Berührung mit Schulbildung hatte mich genug Buchstaben und Zahlen gelehrt, um eine Rechnung zusammenzuschreiben oder eine Wachliste zu lesen. Den Rest hatte ich mir selbst beigebracht. Aber was ich mir an Wissen angeeignet hatte, war ziem lich planlos geschehen. Dies war durchdacht.
Silvus kam vorbei. Ich hatte ihn vieles zu fragen, angefangen mit der Burg.
»Die Garnisonsstärke beträgt nominell ungefähr sech zig«, sagte er. »Davon sind die meisten Ausbilderinnen. Außerdem gibt es ungefähr dreihundert Novizinnen, von vierzehn Jahren aufwärts.«
»Die alle für den Dienst im Orden ausgebildet werden«, sagte ich und stellte mir dreihundert Schwester Winter ridges vor. Furcht erregend. Wenn ich ein Meister der Schwarzen Magie wäre, würde ich mich fürchten.
Aber Silvus schüttelte kurz den Kopf. Er schien irritiert. »Nicht einmal eine von acht wird das Noviziat be enden«, sagte er. »Das ist klar, obwohl weder Schwester Winterridge noch ihre Vorgesetzten es offen zugeben wollen. Ich musste verschiedenen Leuten verschiedene Fragen stellen, um das herauszufinden. Danach verlas sen jedes Jahr nur zehn oder zwölf neue Ordensschwes tern von hier die Ausbildung. Wenn dies die einzige Ausbildungsstätte ist, kann es nicht viel mehr als zwei hundert für den Kriegsdienst geeignete Schwestern im ganzen Orden geben.«
»Aber es ist nicht die einzige Ausbildungsstätte, nicht wahr?«
»Nein. Eine weitere gibt es in Ys, und es mag noch mehr geben. Aber es besteht kein Zweifel, dass die Zahl der Nieten viel zu hoch ist und ihnen Sorgen macht. Die meisten Novizinnen haben anscheinend nicht die Absicht, den Dienst im Orden zu ihrer Lebensaufgabe zu machen. Sie wollen bloß eine Ausbildung und Zugang zu einem Leben, das bessere Aussichten bietet als Plackerei auf einem Bauernhof oder an einem Webstuhl. Um überhaupt Nachwuchs zu bekommen, muss der Orden die Ausbildung bieten.«
Ein interessanter Gesichtspunkt. Frauen, die eine Ausbildung suchten, ein reizvolles Leben. Verständlich und vernünftig, dachte ich. Hatte ich mich nicht aus dem glei chen Grund von der ersten freien Söldnertruppe anwer ben lassen, die mit Trommeln und Pfeifen in mein Dorf gezogen war?
Ich musste gedankenverloren dagelegen haben, denn Silvus beobachtete mich mit einer hochgezogenen Braue und leicht geschürzten Lippen. Er hatte etwas gesagt und ich hatte es nicht gehört.
»Entschuldige, was sagtest du?«, fragte ich.
»Ich sagte, dass wir übermorgen aufbrechen werden. Glaubst du, dass du reiten kannst, oder soll ich dir einen Platz auf einem der Fuhrwerke reservieren?«
»Ich kann reiten. Mit einer festen Bandage um die Brust kann ich reiten.«
»Gut. Brauchst du sonst etwas?«
»Ja, Neuigkeiten.«
Er lächelte. »Ja?«
»Wie viel Mana und Talent würden gebraucht, um die Widergänger im Moor herbeizurufen, oder die Schlange, oder den Sturm?«
Seine Miene wurde nachdenklich. »Einiges für die Un toten. Nicht viel für die Schlange. Umso mehr für den Sturm.«
»Und die Kobolde im Berg?«
»Noch mal so viel. Es waren viele.«
»Richtig. Und wie viel mehr, um alles das von Ctersi aus zu bewirken?«
»Viel mehr. Sehr viel mehr. Selbst Shanhi konnte Untote nicht aus solcher Entfernung steuern. Er musste bei seiner Armee sein, was der einzige Grund ist, dass es ihn am Ende erwischte.«
»Also ist dieser stärker als Shanhi.«
»Wenn er es von Ctersi aus macht, ja.«
Ich grunzte. »Letzte Frage. Wie viel, um vom Zauber stein Gebrauch zu machen?«
»Von dem Ding, das Bild und Ton zurückspielt?« Silvus zuckte mit der Schulter. »Gar nichts, sonst hätte Schwes ter Winterridge es nicht gebrauchen können. Ich be zweifle, dass sie überhaupt Talent hat, und sie gebrauchte damals kein Mana. Das Mana
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