Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkler Winter

Dunkler Winter

Titel: Dunkler Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Luckett
Vom Netzwerk:
zogenen Mützen. Sie musterten uns ernst und schlau abwägend, als wollten sie unsere Kampfkraft einschätzen, und die Ordensschwestern, denen das Banner voranflatterte, ritten grußlos vorüber. In diesem Tal wurde jeder Fußbreit anbaufähigen Bodens landwirtschaftlich genutzt, ausgenommen die Auwaldstreifen am Fluss, die als natürlicher Hochwasserschutz dienten, und die Hangwälder der Berge, die Bau- und Brennholz lieferten und die Hänge vor Erosionsschäden schützten. Felder und Weideflächen wa ren durch Mauern aus lose aufeinandergelegten Lesesteinen voneinander getrennt.
    Wir klapperten über die Brücke, und bald darauf än derte sich das Bild wieder. Die Straße entfernte sich vom Fluss und führte in ansteigenden Windungen in das Hügelland der Vorberge. Dann, nach einem weiten Bogen um eine vorgeschobene Bergschulter öffnete sich der Blick auf eine Ebene, und ich konnte mich ein wenig über die Vorstellung von ebenem Land wundern, die uns nach all dieser Zeit in den Bergen fremd geworden war. Bis zum fernen Horizont erstreckte sich die Ebene, grün und braun, gepflügtes Land und Wiesen, Gehölze und Dörfer und größere Waldstücke, freundlich und einladend im matten Licht. Silbrig glänzten die Schleifen eines Flusses, der von Norden kommend gemächlich durch die Ebene mäanderte, und weit im Westen bildete eine dunkle Linie den Horizont. Die See.
    Und dort im Westen, in der dunstigen Ferne, wo See und Himmel und Ebene ineinander übergingen, war ein undeutlicher dunkler Fleck auszumachen, eine Andeu tung von rechten Winkeln und der Eindruck, mehr gefühlt als gesehen, von rauchiger Verfärbung der Luft da rüber.
    »Stadt und Festung Ys«, sagte Schwester Winterridge mit seltsamer Betonung. Wie jemand, der ein Wort sagt und findet, dass es nicht genau das war, was er meinte.
    »Wie weit ist es?«, fragte ich nach einer Pause.
    Sie schien ein wenig zerstreut, antwortete aber bereit willig genug. »Diesen und noch einen vollen Tages marsch. Heute Nacht werden wir Quartier beziehen.«
    Ich prüfte den Sonnenstand. Der Nachmittag war erst halb um. Ein weiterer Tagesmarsch nach diesem, das er gab zehn, vielleicht zwölf tenabrische Meilen. Und doch war ich überzeugt, dass man aus dieser Höhe bei klarem Wetter die Türme der Festung sehen konnte.
    »Es muss eine große Stadt sein«, sagte ich, während ich mit zusammengekniffenen Augen den rauchigen Fleck am Horizont beobachtete.
    »Ja«, antwortete sie, ohne weiter darauf einzugehen. Ich sah sie aus den Augenwinkeln an. Ihre Stimmung vom Gesicht abzulesen, war nie einfach, und ich hatte auf diesem Gebiet keine Erfolge zu verzeichnen. Dennoch deutete gerade der unbeteiligte Ton ihrer Antwort auf etwas hin. War es Abneigung gegen die Stadt Ys? Viel leicht Missbilligung von Städten überhaupt? Jedenfalls wollte ich mehr darüber wissen.
    Ich blickte umher. Silvus und Eumas ritten zehn Schritte voraus, und von ihnen hatte ich den ganzen Tag wenig gehört. Wir füllten eine Lücke zwischen zwei Fuhr werken im rückwärtigen Teil der Kolonne. Hinter uns kam das letzte Fuhrwerk, dann ein weiterer Abstand zur Nachhut, die aus sechs Ordensschwestern mit Bogen bestand.
    Sie war nach ihrer einsilbigen Antwort still geblieben. Wenn ich nicht ein wenig bohrte, würde ich nichts weiter aus ihr herausbekommen. Aber als ich überlegte, wie ich es anfangen sollte, rollte das Fuhrwerk vor uns an Mer ceda vorbei, die ihr Pferd am Wegrand gezügelt hatte und die Kolonne vorbeiließ. Als der Wagen vorbei war, lenkte sie ihr Pferd neben Eumas und Silvus.
    »Ist sie so groß wie Tenabra?«, fragte ich.
    »Glaube ich nicht«, antwortete Schwester Winterridge. »Tenabra hat vielleicht weniger Handelsleute und achtbare Bürger, aber es kennt sicherlich viel mehr Beutelschneider und Dirnen.«
    Die Priorin des Ordens der Siegesgöttin hatte die Ant wort gehört und brach in Gelächter aus.
    Schwester Winterridge hatte wie gewöhnlich in kühlern, unbeteiligtem Ton geantwortet. Ich widerstand der Versuchung ihr mit einer passenden Bemerkung zu ent gegnen. Schließlich hatte ich nur geschworen, Tenabra mit Waffen zu verteidigen. Niemand hatte etwas davon gesagt, dass ich mich auch zum Anwalt der Stadt machen müsse. Überhaupt hatte sie wahrscheinlich Recht. Haupt sache, sie redete weiter.
    »Was für ein Ort ist es? Die Stadt Ys, meine ich.«
    »Eine Stadt«, erwiderte sie, und wenn eine Stimme Gleichgültigkeit vermitteln konnte, dann tat es die ihre. Aber die Priorin war

Weitere Kostenlose Bücher