Dunkler Zauber
sie holen. Ihr war klar, was die meisten ihrer Mitschüler von ihnen dachten: Sie waren Außenseiter, eine Dreiergruppe, die in keine andere Clique passte. Niemand verstand sie. Doch das machte nichts, denn sie hatten ja einander. Gemeinsam jobbten sie nach der Schule, unterstützten sich, überlebten. Und ihr Lieblingsspiel hieß »Bloß weg hier!«.
Drüben in Montana war ihr alles vertraut, dort war es sicher. Niemand jagte sie, niemand versuchte ihr eine Falle zu stellen. Niemand sagte ihr, dass sie nicht willkommen war.
Sie war zu Hause.
Alex drehte sich auf die andere Seite und ließ ihre Arme über die Bettkante baumeln. Es funktionierte nicht. Sie schaffte es nicht, den Traum wieder aufleben zu lassen. Diese kleine, nervtötende Sache namens Wirklichkeit zog und zerrte an ihr, bis sie schließlich vollkommen wach war. Andererseits: Die Winter in Montana waren bitter. Vor allem, wenn sie nicht genug Geld hatten, um die Heizkosten aufzubringen. Einmal war es ganz schlimm gekommen und ihr Goldfisch war erfroren. Wenn der Winter endlich ging, waren die Bäume tot und kahl, der Schnee verwandelte sich in grauen Matsch und der Himmel hing schwarz und drohend über der Welt.
Andererseits: Sara rauchte. Der süße Duft des Frühstücks war immer von den bitteren Dämpfen ihrer Zigaretten durchzogen.
Andererseits: Ihr Zuhause war ein blecherner Wohnwagen und es gab tatsächlich auch eine »böse« Figur, die ihnen beiden etwas wollte. Der widerliche Vermieter Hardy Beeson und seine niemals endenden Versuche, ihnen zu kündigen. Seine bevorzugte Waffe: schlichte Gemeinheit. Ihre Freunde hatten es auch nicht leichter. Luce war eine süße Träumerin, die gemeinsam mit viel zu vielen Not leidenden Verwandten in einem Miniatur-Häuschen wohnte, Evans Mutter trank. Ihre Freunde waren für Alex das Wichtigste auf der Welt, dennoch gab es vieles, was sie nicht mit ihnen teilen konnte. Ihre Fähigkeit, Gegenstände zu bewegen, anderer Leute Gedanken zu hören. Dass sie so seltsam war.
Abgesehen von Sara - als sie noch gesund war - war es in Montana auch nicht besser.
Alex drehte sich auf die Seite und öffnete die Augen. Cams Zimmer, inzwischen ihrer beider Zimmer. Pastellfarben: Zartrosa, Mintgrün, Babyblau. Regale, auf denen Bücher, CDs, Fotografien und Kerzen aufgereiht waren. Zwei identische Betten, zwischen denen ein Nachttisch stand, zwei identische Schreibtische. Irgendjemand - Cam - hatte hier Platz für sie geschaffen.
Dies war ihr Zuhause.
Alex gähnte laut, warf die Decke zurück, schlug die Beine über die Bettkante, stand auf und ging unter die Dusche. Obwohl keine Gefahr bestand, dass zwischendurch das heiße Wasser ausging, beeilte sie sich. Die Macht der Gewohnheit würde wohl erst mit der Zeit nachlassen.
Apropos Gewohnheit, dachte Alex und blickte sich im Zimmer um, Cami hatte eine richtig schlechte Gewohnheit, vor allem, wenn sie es sehr eilig hatte. Die kleine Schlampe hatte den Inhalt ihres Rucksacks einfach auf dem Boden ausgekippt und dort liegen gelassen, ebenso wie haufenweise Klamotten, die sie während der Woche getragen hatte oder möglicherweise hatte tragen wollen. Auch die Kleider, die sie vielleicht heute Abend zum Schulball anziehen wollte. Eine spießige und süßliche Veranstaltung, an der Alex auf keinen Fall teilnehmen würde. Außerdem ging Cade Richman, der nette Typ, den sie irgendwie ganz gern mochte - na schön, den sie wirklich mochte -, nicht hin. Er war übers Wochenende weggefahren, um seine Schwester in ihrem neuen College zu besuchen.
Alex erlitt einen überraschenden Anfall von »gute Tat«, ein plötzlicher Ordnungsdrang überkam sie. Nachdem sie sich angezogen hatte, fing sie an aufzuräumen. Als sie Cams zerknitterte T-Shirts in den Wäschekorb warf, geschah es. Der Geruch traf sie wie ein Schlag. Durchdringend, Ekel erregend und vertraut. Es roch wie der Tod, wie Saras Tod. Alex räumte schnell den ganzen Wäschekorb aus, obwohl sie genau wusste, wonach sie suchte.
Eine Jeans. Und ein T-Shirt. Sie nahm beides in die Hand und hätte sich beinah übergeben.
Ohne nachzudenken stürmte Alex durch die Tür in Dylans Zimmer. Sie konnte sich gerade noch davon abhalten, ihn anzuschreien - doch obwohl sie blind vor Zorn war, hatte ihr Gehirn noch nicht ganz abgeschaltet. Sie begnügte sich also damit, den Langschläfer am Arm zu packen und ihn wachzu-rütteln.
Natürlich war er nicht gerade begeistert.
»Wa... ? Was ist los? Was ist passiert?« Dylans hellblaue
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