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Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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Wochenbettdepression. Aber auch hier hatten die von Bentheims Glück, weil sie eine sehr gute Kinderfrau hatten, die sich liebevoll um den Kleinen kümmerte.«
    »Frau Köhler«, sagte Chiara.
    »Mag sein, dass sie so hieß«, sagte Alexandra Meixner und griff nach ihrem Glas.
    Chiara schaute einen Moment der perlenden Flüssigkeit in ihrem Glas zu. Dann hob sie plötzlich den Blick. »Und wie ist das bei Zwillingen?«
    »Bei Zwillingen? Du meinst die Wahrscheinlichkeit, dass es vererbt wird?«
    Chiara nickte heftig und die Meixner erklärte: »Ganz einfach. Die haben es beide oder sie haben es beide nicht.«
    »Beide?«, fragte Chiara. Ihre Stimme klang schrill.
    Die Ärztin betrachtete Chiara nachdenklich, dann korrigierte sie sich: »Es sei denn, es sind zweieiige Zwillinge. Da kann es sein, dass der eine es hat und der andere nicht.«
    »Der eine hat es und der andere nicht«, flüsterte Chiara. Aus ihren Augen liefen Tränen. Maurice hatte es nicht. Max hat es, setzte sie in Gedanken fort. Ihre Hände zitterten. »Und was machen Eltern, wenn sie erfahren, dass ihr Kind die Krankheit geerbt hat?«
    »Heute kann man das schon früh in der Schwangerschaft feststellen. Es ist erlaubt, in dem Fall abzutreiben.«
    »Und bei Zwillingen, bei denen man feststellt, dass der eine es hat und der andere nicht?«, fragte Chiara und bemühte sich um Fassung.
    Dr. Meixner schüttelte den Kopf: »Du stellst vielleicht Fragen! Bei Zwillingen wäre es in dem Fall schwierig. Bei einer möglichen Abtreibung würde man immer auch das Leben des gesunden Kindes gefährden. Warum willst du das so genau wissen?«
    »Nur so«, sagte Chiara leise. »Wir haben gerade Genetik in der Schule.«
    Dr. Meixner nickte und betrachtete Chiara kritisch. »Du scheinst eine gute Schülerin zu sein.«
    Chiara nickte ohne Begeisterung, dann fragte sie weiter: »Und wenn solche Zwillingseltern nach der Geburt wissen, dass sie das kranke Kind nicht behalten wollen?«
    »Glaubst du, man kann bei uns einfach so ein Kind abschieben, weil es krank ist? Das ist strafbar.«
    Chiaras Gesicht sah plötzlich blass und müde aus. Kaum hörbar sagte sie: »In dem Fall würde der eine Zwilling eines Tages erfahren, dass man ihn nur deshalb nicht abgetrieben hat, damit sein Geschwister geboren werden kann. Wie gehen Eltern damit um? Sagen sie das eines Tages ihren Kindern? Sagen sie ihnen, hör mal, du wirst leider nicht sehr alt werden und sehr qualvoll und lange sterben. Dafür durfte dein Bruder leben, freu dich!«
    »Bruder? Wieso sagst du Bruder. Es könnte auch eine Schwester sein«, korrigierte Dr. Meixner und warf Chiara einen nachdenklichen Blick zu.
    »Gut, dann eben Schwester. Auf jeden Fall ist es der Horror oder etwa nicht?«
    »Das ist alles sehr theoretisch, worüber wir uns hier unterhalten«, sagte Alexandra Meixner um Sachlichkeit bemüht. »Auf Hundertausend Geburten kommen etwa fünf, bei denen dieses Gen auftritt. Eine verschwindend geringe Anzahl davon betrifft Zwillingsgeburten. Meist sind es eineiige Zwillinge. Die Wahrscheinlichkeit, dass zweieiige Zwillinge geboren werden und der eine den Defekt aufweist und der andere nicht, tendiert gegen null. Also brauchst du dir darüber den Kopf nicht zu zerbrechen.«
    »Trotzdem kann es das geben. Und was ist, wenn Eltern sich entschließen, das kranke Kind gleich nach der Geburt zu töten?«
    Dr. Meixner starrte Chiara entsetzt an. »Nun ist aber mal Schluss! Was sind denn das für Fragen? Dann wäre das Kindsmord.«
    Chiaras Lippen zitterten. »Den kann man auch vertuschen, oder?«
    Die Meixner nickte langsam und beobachtete Chiara aufmerksam. »Und du willst das alles wirklich nur aus biologischem Interesse wissen und nicht, weil du einen konkreten Anlass hast?«
    Chiara ging nicht auf die Frage ein. »Kann man eine Zwillingsschwangerschaft verheimlichen?«
    Dr. Meixner sah nachdenklich durch das Fenster zur Reithalle. Sie zuckte mit den Schultern. »Was heißt verheimlichen? Man kann den Freunden und Bekannten erzählen, dass man nur ein Kind bekommt. Wenn man Privatpatient ist, kann man die Ärzte ständig wechseln. Nur spätestens bei der Geburt wird doch klar, dass da zwei Kinder kommen und nicht eines.«
    Dr. Meixner musterte Chiara besorgt. Das Mädchen fixierte mit starrem Blick die dunkle Tischplatte, als sei sie ein Display mit einem grausigen Film. Dann sprang Chiara plötzlich auf, bedankte sich kurz für die Einladung und verschwand.
    Alexandra Meixner sah ihr gedankenverloren

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