Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
bist du ein Idiot Denis Rodin. Ein Idiot! dachte er.
«Was ist? Habe ich eine Warze auf der Nase oder wächst mir ein drittes Auge?»
«Hä?», machte er, doch dann begriff er. «N ... nein. Natürlich nicht.»
«Dann hör gefälligst auf, mich anzustarren!» Ihre Augen verengten sich misstrauisch. «Oder hast du etwa Hunger?»
«Gott bewahre, nein? Ich würde es nie wagen, dich ... niemals!» Er war zutiefst entsetzt, dass sie daran dachte, er könnte auch nur in Erwägung ziehen, sich ihr zu nähern, um ...
«In Ordnung. Es tut mir leid, wenn ich dich gekränkt habe. Ich bin nur wütend.»
«Wegen Jarout, nicht wahr?», fragte er vorsichtig.
«Vor allem wegen Jarout, aber auch ein bisschen meinetwegen.»
Ihr Blick wurde weicher. Sie lächelte jetzt sogar.
«Du bist also Denis.»
Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Jarout konnte sich bestimmt nicht verkneifen, ihr von seinem dummen Bruder zu erzählen, und dass er ihn dabei nicht im vorteilhaftesten Licht erscheinen ließ, konnte er sich denken.
«Wo ist er denn hin?»
«Jarout? Woher soll ich das denn wissen? Er ist weg, einfach so, genau wie heute Morgen.»
Denis wagte ein kleines Stück näher zu treten.
«Kommt er heute noch zurück?»
«Ich weiß nicht, aber gnade ihm Gott, wenn nicht ...», murmelte sie. Dann lachte sie, und er beobachtete verzückt, die ebenmäßig Reihe ihrer Zähne, die im gelben Kerzenlicht glitzerten. Sie war keine Hirudo. Er war erleichtert und schockiert zugleich.
Jetzt, frag sie jetzt! dachte er und nahm allen Mut zusammen.
«Ich habe eine Idee. Was hältst du davon, mir Model zu sitzen. Ich ... will dich ... ich würde dich gern ... malen ... äh, ja, malen. Das kann ich ... Ich ehm, male Menschen und Tiere und Wiesen und so.» Ach halte die Klappe, Denis! dachte er.
Ihr Lachen erstarb und sie sah ihn völlig entgeistert an. Einen schrecklichen Moment lang fürchtete er, sie könnte ihn ohrfeigen.
Doch dann legte sie ihren Kopf schief und sagte ganz ernst die beiden wohl wunderbarsten Worte, die er je hörte:
«Warum nicht?»
13. Kapitel
Wieder einmal war Jarout ohne ein Wort der Erklärung verschwunden. Nein, er war nicht einfach nur verschwunden. Sein plötzlicher Abgang glich schon eher einer Flucht. Vermutlich war er ebenso erschrocken über die unerwartete körperliche Anziehung zwischen ihnen, wie Karen auch.
Mein Gott! dachte sie, wie kurz waren sie wirklich davor gewesen, einen unverzeihlichen Fehler zu begehen? Jetzt war sie schon eher erleichtert darüber, dass er für sie beide entschied, dass ihre Beziehung auf gar keinen Fall eine andere Richtung nehmen durfte, als die zu Anfang beabsichtigte. Sie hatten ein Abkommen miteinander, ein Geschäft und sonst nichts! Gefühle konnten die Sache nur komplizierter machen, als sie ohnehin schon war. Außer der Tatsache, dass sie beide Kinder desselben Mannes und somit Halbgeschwister waren.
Sie fühlte sich schrecklich ernüchtert und schämte sich fürchterlich. Wie konnte sie ihm nur so leichtfertig ihre Schwäche zeigen? Dazu kam noch, dass sie sich ärgerte, überhaupt so etwas wie Zuneigung für Jarout zu empfinden. Eigentlich war ihr völlig klar, dass sie ihn nicht im Geringsten leiden konnte.
Und dann, noch bevor sie auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, stand das vierte Familienmitglied an diesem Abend in der Tür. Schüchtern wagte er sich kaum zur Tür herein. Ein merkwürdiger Junge. Dem äußeren Anschein nach konnte er kaum älter als siebzehn Jahre sein. Sein Gesicht war so glatt und weich wie das eines Kindes, ohne die Spur eines Bartschattens. Seidige, hellbraune Locken rahmten sein porzellanweißes Gesicht und schimmerten golden im weichen Kerzenlicht.
In seinen leuchtenden Augen, die wie schimmernde Seeopale funkelten, tanzten grüne und blaue Lichter. Sein ganzes Wesen strahlte Unschuld und stille Neugierde aus, auch wenn sich in den Zügen um Mund und Augen bereits eine erste Härte abzeichnete. Wäre er noch ein oder zwei Jahre älter geworden, hätten sich daraus die ernsten Konturen eines Erwachsenengesichts entwickelt. Doch so verband sich Weichheit auf unvergleichliche Art mit der darunter gerade eben erkennbaren Männlichkeit und die verlieh ihm eine zarte Unbestimmtheit. Seine Kleidung wirkte altmodisch. Über dem weißen Hemd trug er eine Weste und dazu eine dunkle Hose aus weichem Stoff, die gerade so lang war, dass sie den Blick auf braune Halbschuhe freigab, die alt und ausgetreten wirkten.
Zu
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