Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
respektlosen Übermut und Lucas: konservativ und zu übertriebener Vorsicht neigend. Calman, groß gewachsen und dunkel mit olivefarbener Haut, schwarzen Augen und Haaren. Und Lucas, dessen Haut weiß und glatt wie Porzellan war, seine Augen hell und das Haar flammend rot, dem ihren so ähnlich. Mit dem Aussehen endeten auch schon die Gemeinsamkeiten zwischen Vater und Tochter. Ihr Temperament war so unterschiedlich wie Feuer und Wasser. Dementsprechend nervenaufreibend gerieten sie auch häufig aneinander.
Mit Calman war alles anders. Er teilte ihre seltsam überbordende Energie und wusste sie dennoch zu mildern.
Von ihm lernte sie, Kunstwerke in Museen zu bestaunen und deren Schönheit zu erkennen. Mit ihm verbrachte sie lange Abende in den Cafés und lauschte den Darbietungen moderner Künstler. Musiker, Poeten, Philosophen. Karen begegnete Dank Calman dem Schrecken ihrer Kindheit auf unerwartet anregende Art. Bildung. In der Schulzeit lästiges Übel entpuppte sich die einst erzwungene Tortur als aufregende Entdeckungsreise.
Während dieser gemeinsamen Wochen hatte sich aus ihrer oberflächlichen Bekanntschaft zu Calman, tiefe Freundschaft entwickelt. Er half ihr dabei, ihre Talente besser unter Kontrolle zu halten und bewusster einzusetzen. Nie nannte er einen Grund, warum er sich ihrer angenommen hatte. Sie mit den Hirudo vertraut zu machen, wäre eigentlich Lucas Aufgabe. Schließlich war er ihr Vater und lange Jahre der Trennung waren nachzuholen. Als sie noch ein Kind war, hatte er sie und ihre Mutter verlassen. Als Vampir konnte er unmöglich in der Welt der Menschen leben. Karen aufzusuchen hatte er die ganze Zeit über nicht gewagt. Zwanzig Jahre später aber machte sie sich auf, ihn zu suchen und fand ihn schließlich. Lucas liebte sie, daran zweifelte Karen nicht, doch wirklich nahe stand ihr Calman und nicht ihr Vater.
Calman war ihr Vertrauter, Lehrer und Freund, so wie Seamus für Lucas Berater und Gefährte war. Sie liebte ihn von ganzem Herzen. Auf eine ähnlich unschuldige Art wie ein Kind liebt. Die Möglichkeit einer sexuellen Beziehung zog weder er noch Karen jemals in Betracht. Vielmehr bestand zwischen ihnen ein Band, das gesprochene Worte unnötig machte.
Ihr telepathisches Talent funktionierte mit Calman auf Anhieb und sogar über weite Entfernung hinweg. Normalerweise trafen die Gedanken, Empfindungen und Bildprojektionen anderer Hirudo nur in deren Tagschlaf aufeinander. Ein Phänomen, das so faszinierend wie geheimnisvoll war, wusste doch keiner von ihnen, warum sie während des Schlafes miteinander in Verbindung standen. Dann trieben sie in einem warmen, sanften Meer ohne Eile, frei von Angst, ganz ruhig und entspannt. Calman hatte ihr erzählt, dieses Wasser heiße Randmeer und sei in Melacar zu finden. Dort sprachen die Hirudo zueinander. Wie in einem kollektiven Bewusstsein tauschten sie Emotionen und Erinnerungen aus, welche sie mit anderen zu teilen wünschten. Allerdings war der Austausch steuerbar und niemand musste ein Geheimnis offenbaren, das er nicht preiszugeben wünschte.
Karen war nie an diesen Ort gelangt. Sie und Calman vermochten jedoch ohne große Anstrengung eine ähnliche Einigkeit zu jeder Tages- und Nachtzeit einzugehen. Und dass, obwohl sie nur zum Teil Hirudo war. Dass sie nicht das Geringste von seiner Ankunft vernommen hatte, verwunderte sie. Weder ein Traum noch ein Gedanke hatte ihn wie sonst angekündigt.
»Ich wollte dich überraschen«, hörte sie Calmans Gedankenstimme. Karen erschrak. Sein Blick suchte den ihren und hielt ihn fest. Lucas schien nicht zu bemerken, dass sein Gesprächspartner kurzzeitig abgelenkt war.
Er redete weiter leise auf ihn ein, als gäbe es ein Geheimnis zu besprechen.
»Was redet ihr?« Sie formulierte die Frage zu einem kleinen in Gedanken visualisierten Päckchen. Eine schwarze Schachtel, in deren Inneren ihre Botschaft leuchtete. Calman brachte ihr diese Art, ihm ihre Gedanken mitzuteilen, bei. Und sie stellte rasch fest, dass seine Methode hervorragend funktionierte.
»Nichts weiter. Mach dir keine Sorgen darüber«, war seine Antwort.
»Worüber soll ich mir keine Sorgen machen?«
»Ich wollte sagen: Denk nicht darüber nach. Erwachsenenkram. Gelächter.«
Gelächter. Ein Lachen konnten sie in ihren Gedanken nicht hören, deshalb diente das ausgesprochene Wort als bildhafter Ersatz. Sie sah ihn eine neckende Grimasse schneiden.
»Geht mich nichts an, ich verstehe«, dachte sie.
Karen wusste, dass die Hirudo
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