Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
jetzt wollte er sich ein Versteck suchen, die Nacht abwarten und beten, dass er früh genug aufbrechen konnte, um die Straße noch rechtzeitig zu erreichen.
19. Kapitel
Durchgeschwitzt und bitter enttäuscht ließ Karen den völlig verbogenen Kleiderbügel fallen. Stundenlang war sie auf der Suche nach einem brauchbaren Werkzeug, mit dem sie diese verdammte Tür zu Lucas Zimmer aufbrechen konnte, durch das ganze Haus gelaufen. Doch alles was sie fand, waren Messer, deren Klingen gleich beim zweiten Versuch, das Schloss damit aufzuhebeln, abbrachen. Und von wegen, mit einer Haarnadel konnte man Schlösser knacken. Nichts da! Stattdessen verschwand das Teil auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen des Türschlosses.
Den Kleiderbügel schließlich fand sie in ihrem Zimmer in Blanches Schrank. Aber das dumme Ding war ebenso nutzlos wie die anderen Sachen. Warum war in diesem dämlichen Haus nicht einmal ein Schraubenzieher aufzutreiben? Wie konnten die Hirudo nur leben ohne Werkzeug? Ging denen denn niemals was kaputt?
Mit schmerzenden Fingern strich sie das schweißverklebte Haar aus ihrem Gesicht. Sie roch, war müde und hätte am liebsten den ganzen Mist einfach kurzerhand in Brand gesteckt, aber vermutlich war sie dafür schon viel zu erschöpft. Wie viel Zeit blieb ihr noch bis zur nächsten Nacht? Als sie zuletzt auf die Uhr unten in der Halle sah, war es schon kurz vor zwölf. Jetzt waren gut und gerne schon wieder einige Stunden vergangen. Ihr Gefühl für Zeit war völlig hinüber. Aber nicht nur das. Sie selbst war völlig hinüber.
Die Energieentladung vorhin in der Halle sorgte sogar dafür, dass sie nicht einmal fähig war, zu erkennen, wer als Letztes durch die Tür gegangen war. Karen kicherte und ihr Lachen klang erschreckend hysterisch. Bestürzt schlug sie die Hände vor den Mund. Aber sie konnte nicht aufhören. Sie hätte sich die Zerstörungswut für das Schloss aufheben sollen, dann säße sie jetzt nicht mit zwei abgebrochenen Fingernägeln und Staub, der ihr die Kehle verstopfte, in diesem finsteren Flur. Nein, dann stünde sie jetzt in einem Zimmer mit Holzsplittern in den Wänden und kaputten Fensterscheiben. Sie brach in lautes Lachen aus, bis ihr heiße Tränen die Wangen herunterliefen.
«Oh, Scheiße, Karen! Jetzt bist du auch noch übergeschnappt», fluchte sie und wischte mit dem Ärmel von Blanches Kleid die Tränen aus den Augen.
Kein Wunder. Wer wurde nach einigen Tagen in diesem Haus nicht verrückt. Das ist doch völlig normal. Das war die natürliche Sicherung die raussprang, wenn die Leitungen überlastet werden.
Sie konnte immer noch abhauen, wenn sie wollte. Aber gerade das war das Problem. Sie wollte nicht. Sie konnte nicht. Ginge sie, dann wäre ihr Leben ebenso verwirkt wie das ihrer Mutter, die all die Jahre, über die Zeit mit Lucas und dem nachtrauerte, was hätte sein können, wenn sie zusammengeblieben wären. Im Gegensatz zu Aimee blieb ihr selber die Wahl. Sie konnte bleiben und herausfinden was passierte, wenn sie Lucas zur Rede stellte oder einfach verschwinden und ... ja, zu einer zweiten Aimee mutierte.
Wenn sie blieb, führte kein Weg zurück. Dann musste sie die Sache bis zum Ende durchstehen. Und dabei gab es nichts, wovor sie sich mehr fürchtete. Und nichts konnte sie sich schwerer eingestehen, als dass ihr die Vorstellung, Lucas könnte sie als seine Tochter verleugnen, am meisten Angst machte. Schlimmer noch, er könnte sie dafür hassen, dass sie Jarout bei seinem gemeinen Plan half.
Dann wäre alles aus und vorbei, ehe sie überhaupt eine Chance bekam, an Lucas väterliche Schuldgefühle zu appellieren und sich seiner zerknirschten Erzeugerseele nach grausamen Vorhaltungen am Ende doch noch gnädig zu erbarmen.
Oh Gott, stellte sie sich ihre Begegnung mit Lucas etwa wirklich so vor? War sie wirklich ein so berechnendes Monstrum? Was war mit der Karen geschehen, deren Wunsch, ihren Vater zu finden allein darauf begründet war, mit ihm zu reden. Mit ihm zu reden, wie ein vernünftiger Mensch und nicht, um ihn mit kindischen Vorwürfen zu quälen.
Aber zum Teufel, er verdient diese Vorwürfe! meldete sich die zornige Stimme in ihr. Er verdiente sie und zwar jeden einzelnen davon.
«Diesmal kommst du nicht so einfach davon, Lucas Vale!», zischte sie und schnappte sich den verdrehten Bügel, sprang auf und machte sich erneut mit zusammengebissenen Zähnen über das Türschloss her. «Schließlich konnte ich auch nie davonkommen, nicht wahr? Und das
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