Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
Geduld.
Nach und nach ergriff das Rucken und Zittern des kleinen Silberplättchens von seiner Hand Besitz. In heftigen Strömen erfasste ein unkontrolliertes Beben erst seinen Arm, dann die Schultern. Prior wusste, dass er den Prozess jetzt nicht mehr aufhalten konnte. Aber das wollte er auch gar nicht. Im Gegenteil, er genoss die beginnenden Veränderungen. Er spürte, wie sich Organe, Gelenke, Knochen, Zellen auflösten und wieder zusammenfügten. Den Moment, in dem die Transformation sein Herz erreichte, erlebte er als Todesstoß. Dann ein neues Erwachen. Ein Schub reinster Energie durchfuhr seinen zerfasernden und sich neu zusammenfügenden Leib.
Seufzend ergab er sich in den Strom, der ganz von ihm Besitz ergriff. Jeden Genuss daran leugnend, ergab er sich seiner Metamorphose. In heißen, goldflüssigen Zirkeln brach sich die Wandlung Bahn. Immer härter und unnachgiebiger bedrängte ihn das Gespinst seiner neuen Gestalt. Glühende Tentakel legten sich über und um ihn. Einem Mantel aus gleißendem Licht gleich, legte sich diese lebendige Kreatur um ihn. Bis zur Gänze hüllte sie ihn ein, durchdrang ihn und wurde schließlich zu ihm selbst. Ein Lachen entfuhr seiner Kehle und in reinster Agonie spürte er den Schmerz der Geburt. Mit einigem Entsetzen fühlte er auch, wie sich unter dem sanften und steten Strom sein Geschlecht regte. Pulsierend füllten sich die schlaffen, leeren Kammern mit Blut. Der so sorgsam unter Kontrolle gehaltene Schwanz reckte sich steif in die Höhe, sodass die heiße Eichel gegen seinen Bauch stakte.
Die dürren Glieder seiner Arme und Beine streckten sich, gewannen an Länge und Kraft. Sein Brustkorb dehnte sich schmerzhaft. Rasch wachsendes Haar wand sich ihm als dichter, aber spinnwebfeiner Vorhang aus reinstem Weiß über Schultern und Rücken. Seine Knochen ächzten unter dem Ansturm der Kraft, die er auf sie wirken ließ. Sie wurden gezwungen zu wachsen, sich zu verbiegen und ganz dem Willen ihres Bewohners zu folgen.
Seine Haut spann unermüdlich neue Gewebebahnen. Sie wirkte so dünn und rosig durchscheinend als drohe sie an mehreren Stellen zu reißen. Doch sie hielt, passte sich den neuen Konturen an, wurde fest und hart und kalt. Dann war er fertig. Feucht glänzend, nackt und mit perfekt geformten Gliedern lag er keuchend auf dem schmutzigen Boden. Erschaffen, Kraft seiner Gedanken und der Entschlossenheit seines Willens.
Dorian Prior fühlte sich erschöpft. Zugleich jedoch wie neu geboren, was er ja auch im wahrsten Sinne des Wortes war. Weißes Albinohaar fiel ihm in die Augen und er hasste jede einzelne Strähne sogleich von ganzem Herzen. Den Anblick, den ihm der hohe Spiegel neben dem Arbeitstisch bot, war grauenvoll. Hasserfüllt starrten ihn seine neuen Augen an. Wie rot glühende Dämonenfeuer loderten sie in dem bleichen Gesicht. Mit den grotesk hohen Wangenknochen, der schmalen Nase und dem breiten Mund wirkte dieses neue Antlitz fremd und im ersten Moment abstoßend bis an die Grenze des Ekels. Dennoch konnte Dorian Prior einen gewissen Stolz nicht leugnen. Seine Wandlung war perfekt bis ins kleinste Detail. Vor ihm stand Arweth, Ältester der Hirudo. Ein Vampir, geboren, ehe die Menschheit überhaupt daran dachte, ihre sumerische Wiege zu verlassen.
Der langgliedrige, magere Albino mit hüftlangem Haar, das so weiß und fein wie Spinnweben über Rücken und Schultern fiel, war ein spektakulärer Anblick und ganz gewiss nicht zu übersehen. Wer ihn einmal traf, der vergaß ihn sicher niemals wieder.
Versonnen betrachtete er sein neues Äußeres einige Minuten in dem mannshohen Spiegel. Er brauchte die Zeit, um sich darüber klar zu werden, dass er die nächsten Tage in diesem verhassten Leib verbringen musste. Doch selbst gewähltes Elend ist der von Fremden zugefügten Qual jederzeit vorzuziehen, urteilte er bitter. Und diese grauenvolle Maskerade diente schließlich nur einem einzigen Zweck: seiner Rache. Und die wird auch diesen notwendigen Schritt der Wandlung vergelten.
Sorgfältig kleidete er seinen neuen Körper in die von dem Albino bevorzugte dunkle Kleidung. Schwarzer Anzug, schwarzer Mantel, ebenso schwarze Schuhe. Teure Stoffe und weiches Leder und dennoch eine wenig auffällige Kleidung. Ihre Schlichtheit allerdings betonte seine Erscheinung eher noch, als dass sie ihn verdeckte. Der Mistkerl weiß, was Wirkung zeigt, das muss man ihm lassen. Dorian schnalzte anerkennend mit der Zunge. Ja, das war exakt der Arweth, den er so lange Zeit
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