Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
Erstkontakt versuchte.
Und wie konnte sie um Vergebung bitten? Selbst wenn ein anderer ihr verzeihen mochte - sie selbst konnte es nicht. Sie war zu Lucas gegangen und hatte Peter zurückgelassen. Er starb, weil sie nicht anwesend war, als er sie brauchte. Sie war so egoistisch gewesen und hatte damals nur an sich selbst gedacht, was die grauenvolle Konsequenz seines Todes zufolge gehabt hatte. Nein, verzeihen konnte sie sich das niemals.
Mühsam vertrieb Karen die düsteren Gedanken und huschte zurück in die Wärme des Hauses. Erleichtert schob sie die Tür zu. Das Kaminfeuer im Salon war bis auf die glimmende Asche heruntergebrannt. Eilig legte sie einen Holzscheit nach und ließ die Zeitung auf den Tisch fallen, ehe sie in die Küche ging, um sich ein Frühstück zuzubereiten.
Mit einer Tasse Kaffee in der einen und drei belegten Brotscheiben in der anderen Hand, kehrte sie in den Salon zurück. Die Tasse und Brote legte sie neben der Zeitung auf dem Tisch und griff gleichzeitig nach der Fernbedienung des Fernsehers. Wie gewohnt drückte sie den Einschaltknopf, doch das Gerät blieb stumm.
Lucas, fiel ihr ein. Gestern hat er das Ding in seiner Wut ... wie nennt man das ...? Ausgedacht?
Dabei waren seine Emotionen wohl derart überladen, dass er die Kraft seiner Gedanken zu hoch dosierte und dem Gerät den Todesstoß versetzt hatte. Zu dumm. Jetzt musste sie auch noch aufs Fernsehen verzichten. Enttäuscht ließ Karen die Fernbedienung fallen. Dabei fiel ihr Blick auf die Zeitung. Erstaunt kniff sie die Augen zusammen. Was sie sah, konnte nur eine optische Täuschung sein. Klar, sie war völlig übernächtigt. Das konnte Halluzinationen auslösen.
Zaghaft streckte sie die Hand nach dem Papier aus, das von einer dicken Staubschicht bedeckt war. Die Zeitung lag noch keine fünfzehn Minuten auf dem Tisch. Wie hatte sich in so kurzer Zeit so viel Staub darauf niederlassen können? Das war doch unmöglich. Seltsam wirkte auch, wie sich der Staub absetzte. Er war keineswegs gleichmäßig verteilt, sondern bildete eine Form, die stark an den Abdruck einer ausgestreckten Hand erinnerte. Karen schluckte trocken. Was sich am Vorabend in Denis Turmzimmer ereignet hatte, wiederholte sich hier.
»Also gut, meine Liebe. Ich weiß, dass du hier bist und diesen Zirkus veranstaltest«, sagte sie laut in den Raum hinein, ohne den Blick von der Zeitung zu wenden.
»Wenn du Aufmerksamkeit willst, die hast du jetzt.« Karen schwankte zwischen Angst und Aufregung über diesen ungewöhnlichen Besucher. In erster Linie aber fühlte sie sich beunruhigt. Die Anwesenheit desjenigen, der diese Spuren hinterlassen hatte, schien nicht ganz so zufällig zu sein, wie das noch beim ersten Mal der Fall gewesen war. Diese Spur war kein Zufall. Dafür war sie viel zu deutlich. Mit zitternden Händen nahm sie die Zeitung auf.
Sie neigte das Papier in Richtung Fenster, sodass das einfallende Morgenlicht die Staubschicht schräg beleuchtete und deutlicher sichtbar machte. Tatsächlich, der Abdruck einer Hand. Daumenballen und alle Finger waren ganz klar zu erkennen. Als habe sich jemand auf der Zeitung abgestützt.
Unerwartet, noch während sie das Papier hin und her wendete, kam mit einem Mal Bewegung in die Partikel. Urplötzlich überkam sie das Gefühl, jemand sei mit ihr im Raum. Genau dasselbe empfand sie gestern in Denis Turmzimmer. Alarmiert blickte sie auf. Sie war allein im Raum. Und dennoch meinte sie, die eindringliche Präsenz einer zweiten Person zu verspüren.
Karen schauderte, als fremder Atem an ihr vorüberzog. Ein warmer Hauch, so nah, dass sie das feine Aroma darin riechen konnte. Der Duft von Holz. Fein und würzig. Nein, kein Holz. Karen schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Rauch. Der Duft eines brennenden Kamins oder offenen Feuers auf dem Feld. Sie erinnerte sich, dass ihre Mutter manchmal im Garten hinter ihrem Haus das gefallene Herbstlaub verbrannt hatte. Ein vertrauter Duft. Ein Duft, der sie beruhigte und ihr zeigte, dass ihr keine Gefahr drohte. Und ein Gefühl schwang darin.
Hör mir zu! sagte dieses Gefühl. Hör mir zu! Schau mich an! Karen spürte Dringlichkeit darin. Sie ahnte, dass jemand verzweifelt ihre volle Aufmerksamkeit forderte. Ist in Ordnung, es ist schon gut, dachte sie. Ich schaue und ich höre. Ich bin still. Niemand macht dir deinen Platz streitig. Niemand will dich vertreiben. Du kannst sprechen.
Karen zitterte am ganzen Körper. Etwas Ähnliches war ihr noch nie
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