Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
verlangte die Tradition, hatte Karen von Lucas erfahren, als sie fragte, warum sie ihn nicht einfach beerdigten. Ihr schien dieses Spektakel unter freiem Himmel archaisch, barbarisch geradezu. Doch Lucas meinte, so verfuhren die Hirudo seit Jahrtausenden. Keine Spur, die verdächtige Fragen aufwerfen könnte, durfte von ihren Toten zurückbleiben. Deshalb verbrannten sie sie.
Doch trotz des Pragmatismus, der diese Handlung begründete, spürte Karen ganz deutlich die offenkundige Feierlichkeit in dem beinahe magisch anmutenden Ritual. Sie meinte, neben der Trauer auch so etwas wie Stolz in den mondbeschienenen bleichen Gesichtern zu erkennen.
Ja, Beryl und Elian schienen geradezu in Hochstimmung über diese Gelegenheit, bei der sie ihre Erfahrung und ihr Können anbringen durften. Waren sie doch gewissermaßen die Hohepriesterinnen der Hirudo und wahrten seit Jahrhunderten das Wissen um geheime, uralte Rituale. Auch Priors Körper würde verbrannt werden, später, irgendwo im Wald. Ihm jedoch gäben sie keine Worte des Abschieds. Seine Asche sollte der Wind davontragen, wie die Überreste eines Namenlosen.
Unruhig tastete Karen in ihrer Jackentasche nach der Fibel, die Calman ihr gegeben hatte, als er sie vor einer Stunde in ihrem Zimmer aufgesucht hatte. Es war jenes Schmuckstück, dass einst Phoebe gehört hatte und das Dorian Prior Arweth geschickt hatte. Sie solle von nun an ihr gehören, ließ Arweth ausrichten. Er war der Ansicht, dass das sicher auch Phoebes Wunsch wäre.
Eine ausgesprochen großzügige und auch bedachte Geste, fand Karen. Das Schmuckstück offen zu tragen, widerstrebte ihr dennoch. Sie beschloss, es als Erinnerungsstück an einem besonderen Platz aufzubewahren. Vielleicht auf ihrem Schreibtisch. Oder sie konnte Seamus bitten, einen Rahmen zu besorgen, wie ihn Schmetterlingssammler benutzen. Darin fände die Fibel einen dekorativen Platz an einer freien Wand in Denis’ Turmzimmer.
Ganz in Gedanken versunken, wäre sie beinahe in Blanches Rücken gelaufen, als diese wie alle anderen stehen blieb. Nicht grob, aber bestimmt lenkte Galina Karen neben Jarout, damit sich der Kreis, in dem die Hirudo den Scheiterhaufen umstanden, schloss. Hastig murmelte Karen eine Entschuldigung, doch Galina nickte nur lächelnd und deutete ihr, still zu sein.
»Bra’thren agus pathraigbh’rean. Tha a’ghealach a’deárrsadh ore siunn.« Einander an den Händen haltend, traten Beryl und Eliane vor. Synchron erhoben sich ihre rauen, kraftvollen Stimmen in den klaren Winterhimmel. Beide trugen ein weites Gewand, unter dem ihre Flügel verborgen waren. Ihre beinahe grotesk schlanken Körper zeichneten sich gegen den dünnen Stoff ab, der in dem eisigen Wind flatterte. Karen fragte sich, was ihre Worte bedeuten, die an keine Sprache erinnerten, die sie je zuvor gehört hatte.
Calman, dachte sie. Ob er mit mir spricht? Einen Versuch war das Risiko, abgeblockt zu werden, wert. Energisch trieb sie ihre Gedanken durch das trockene Holz des Scheiterhaufens, hinter dem der Ältere vor ihrem Blick verborgen stand.
Beryl, die nun eine Fackel aufnahm und sie Eliane, deren schwarzes Haar wie Trauerflor aus schwerem Samt im Wind peitschte, entgegenhielt, lenkte Karens Konzentration kurz ab.
»Das Feuer unserer Zuneigung geleite dich«, rief Eliane. Ihre grünen Augen glühten in der Dunkelheit auf und sogleich zischte eine Stichflamme von der Fackelspitze.
»An beal teine triugh«, raunte die Antwort von Arweth und Calman. Sie waren die Einzigen, denen dieses Ritual vertraut zu sein schien. Die anderen Hirudo lauschten und beobachteten stumm.
Karen hörte Calmans Stimme tief in ihren Gedanken. Er war da und verstand, was sie wollte. Ein erfreutes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, das sich von dem eisigen Wind schon ganz taub anfühlte.
Eliane legte ihre rechte Hand über Beryls an den Griff der Fackel. Gemeinsam traten sie an das aufgeschichtete Holz, auf dem Malcolms Leichnam in ein Leinentuch gewickelt lag.
»An cridhe ior an cridhe« »Ein Herz für ein Herz«, hörte Karen Calmans Stimme. Er übersetzte, was für Karen so unverständlich war.
Die Schwestern senkten die Flamme und stießen sie in das Holz. Sofort leckten gierige Feuergarben an den ausgedörrten Ästen und Scheiten. Brandiger Gestank stach Karen in die Nase, sodass sie hilflos nach Luft schnappte. Doch da war keine Luft, nur öliger, beißender Rauch, der ihr die Kehle zuschnürte.
»Shein bannan dy nan vuille«, hörte sie die singenden
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