Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
mürber Kohle verbrannt, brachen. Immer noch atmend, obwohl die sengende Luft seine Lungen explodieren ließ, stieß er kreischende Klagelaute aus.
Voller Gnade senkte sich der Feuerwall über ihn und nahm Phoebe die Sicht. Mit einem Schlag erlosch das Feuer und Dunkelheit senkte sich über die verbrannten Überreste Priors.
Jetzt ist es vorüber, dachte sie. Hinter sich spürte sie, dass sich ein Tor öffnete, das in jenes Sein führte, in welches sie nach ihrem Tod eingekehrt war.
Die Menschen nannten es Jenseits, sie nannte es Frieden. Und jetzt würde sie für immer dort verweilen, denn der einzige Grund, aus dem sie jenen Ort verlassen hatte, war bereinigt. Vielleicht würde auch Dorian Prior dort sein, doch sicher frei von jedem Verlangen nach Rache oder Macht. Ruhig wandte sie sich ab und durchschritt die wabernde Öffnung, die sich hinter ihr schloss.
Zurück blieb nur die Dunkelheit einst geführter Kriege.
Tanja Schröder
Hirudo - Dunkles Erbe
Prolog
Das eintönige und gleichmäßige Rattern der Räder ließ seine Augenlider schwer werden. Doch jede holprige Unebenheit in den Bahngleisen schreckte ihn auf, und unerbittlich begannen seine Gedanken erneut, die quälenden Erinnerungen heraufzubeschwören.
Gereizt lehnte sich Lucas in die weichen Polster des Zugabteils zurück, während sie Kilometer um Kilometer durch die sternenklare Nacht zurücklegten. Aus den Augenwinkeln blickte er zu Seamus, der ihm gegenübersaß.
Sein treuer Freund und Vertrauter, der ihn stets auf Geschäftsreisen wie dieser von Hamburg nach Berlin begleitete. Er gab vor, zu schlafen, was Lucas ihm nicht abnehmen konnte.
Seinen Kopf an das Zugfenster gelehnt, blinzelte er hin und wieder verstohlen zu ihm, so als wüsste er um Lucas aufgewühlte Seele.
Kurz flackerte die grelle Deckenbeleuchtung und ließ Lucas aus seinen schmerzhaften Gedanken schrecken. Er sehnte sich nach Ruhe, nach der Schwärze der Nacht. Und wie auf einen Fingerzeig hin verdunkelte die Deckenbeleuchtung. Das diffuse Licht des Nachthimmels erfüllte das Abteil. Seamus Atemzüge wurden ruhiger, regelmäßiger.
Er schläft, dachte er, ein wohlverdienter Schlaf nach dem gestrigen Abend.
Sein Blick glitt hoch zum Sternenhimmel. Prall und rund stand der Vollmond von einem schimmernden Halo umkränzt am Himmel. Sein silbernes Licht erhellte die Nacht und verlieh der vorüberziehenden Landschaft einen Hauch von Unwirklichkeit.
Wie damals bei Aimee. Bilder von Ereignissen und Erinnerungen an Emotionen, die er lange überwunden und vergessen glaubte, drängten sich in sein Bewusstsein. Zeit hatte für ihn begonnen, konturlos und abstrakt zu werden.
War das alles wirklich schon zwanzig Jahre her? fragte er sich und schloss die Augen, um die kommenden Bilder deutlicher zu sehen.
Er erinnerte sich an jene Nacht, als er die Treppe in Aimees Haus am Ende der Straße hinaufgeschlichen war. Er sah das graue Silberlicht des Mondes auf den abgenutzten Holzstufen und hörte die Blätter der Bäume im Wind am Fenster rascheln. Wehmütig dachte er daran, wie glücklich er hier nur wenige Wochen zuvor gewesen war.
Aimee gefiel dieses aschfahle Licht des Mondes, das die Nacht taghell erleuchtete. Sie war gern mit ihm in den Garten hinausgegangen, um in dem nebelfeuchten Gras nach seiner kalten Hand zu tauchen. Dann zum Fluss hinter ihrem Haus, auf dessen Wellen silbern das Mondlicht spiegelte. Nackt schwamm sie damals in den kalten Fluten und lockte ihn wie eine Nymphe, um seine Unsterblichkeit zu versuchen. Nur zu gut wusste sie, dass er nicht schwimmen konnte.
Ihre schwarzen Augen funkelten in diesem seltsamen Licht wie zwei nassglänzende Kieselsteine, nachdem sie aus dem Wasser gestiegen war und zärtlich ihre Wange an seine Brust schmiegte. Er spürte ihr Haar unter seinen streichelnden Händen. Wie feines, gekraustes Wurzelwerk.
Später dann auf der Treppe in ihrem Haus, in das er Monate, nachdem er sie zuletzt sah, zurückgekehrt war, um die Kinder zu nehmen, war ihm einen Moment lang, als hörte er ihr Atmen hinter sich. Er hatte sich sogar umgedreht und beinahe erwartet, sie am Fuß der Treppe stehen zu sehen. Doch da war nichts. Nichts, außer seiner Erinnerung und einem Wunsch, den er sich selber nicht eingestehen konnte.
Schnell streifte er den Gedanken an sie ab, um stattdessen seine Konzentration auf das zu richten, weshalb er zurückgekehrt war. Noch fünf Stufen und zwei Meter den schmalen Flur entlang. Er konnte sie riechen, fühlen. Seine
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