Dunkles Licht
gewöhnliche Hure war. Sie war auch im Haus von Tristan und Sheldon eine Hure gewesen, aber von solchen Männern erwartete man, dass sie Ausschweifungen frönten, und außerdem hatte man in ihr einen wertvollen Aktivposten für das Vorankommen des Herrn gesehen. Kippings Angestellte waren zutiefst schockiert, dass der Privatsekretär seiner Majestät so tief gesunken sein sollte. An ihren Pflichten konnte kein Zweifel bestehen, weil ihr Zimmer gleich neben dem seinen lag und es eine Verbindungstür gab.
Daher war die neue Hure sehr angespannt, als Kipping sie zu seiner Frau Irene mitnahm. Sie war bettlägerig; groß, mit weißem Haar und einem Gesicht, das von den Schmerzen böse zugerichtet war. Und sie war charmant. Sie nahm Maddy bei den Händen und bot eine Wange zum Kuss dar.
»Setz dich, meine Liebe. Wie prächtig du bist! Kein Wunder, dass William wegen dir außer sich geraten ist. Geh, William! Wir Frauen haben miteinander zu reden. Zieh deinen Stuhl näher heran, Liebes. Hat man es dir bequem gemacht?«
Maddy gab höfliche Antworten und wartete darauf, dass die Maske herabfiele und sich Hass und Abscheu darunter zeigten. Sie wartete vergebens, und Irene sorgte dafür, dass sie sich allmählich entspannte.
»… arbeitet so hart … trägt das Königreich auf den Schultern … Menschen, die helfen sollten, arbeiten gegen ihn … nie in der Lage gewesen, ihm Kinder zu schenken … kann ihm jetzt gar nichts mehr geben, bloß eine Last … möchte, dass du nett zu ihm bist.«
Maddy wusste, dass ihr Zweck in mehr als bloß therapeutischem Ehebruch bestand. Sie war ebenfalls ein Bauer in einem Schachspiel gegen die Uptree-Fraktion, und ein überlegener Taktiker wie Kipping mochte noch andere Einsätze für sie im Sinn haben. Sie stammte aus einer Familie notorischer Ketzer, die vom abscheulichen Himmelsgott heimgesucht worden war. Die Kinder waren dafür bekannt, dass sie über seltsame Kräfte der Heilung verfügten. Sollte sie diese verkrüppelte Frau heilen? Wenn sie ziemlich wahrheitsgemäß erklärte, dass ihre Gaben begrenzt waren und Heilung nicht umfassten, würde sie dann auf die Straße geworfen?
»… sehr langweilig werden … du stammst vom Land? … du musst reiten … such dir einen Zelter aus, und Steven wird dir ein paar Stallburschen zur Begleitung auswählen … königlicher Park … im ganzen Park reiten vornehme Leute …«
Und wenn Lord Uptree die Besitztümer der Woodbridges gestohlen hatte, sollten sie jetzt Maddy gehören? Der einzige andere mögliche Überlebende war Rollo, obwohl sie keine Hoffnunghatte, dass er wirklich noch am Leben war. Eines Tages würde sie Kipping fragen, was ihm zugestoßen war, aber jetzt noch nicht. Lass die winzige Kerzenflamme der Hoffnung weiterbrennen …
Eine Krankenschwester erschien mit einem Tablett.
Irene seufzte. »Wieder etwas zu essen! Ich schwöre, dass ich nichts anderes tue als essen und schlafen, mehr essen als schlafen. Die übrige Zeit ist mir so langweilig, dass ich schreien könnte. Wenn dir also einmal die Stunden schwerfallen, meine Liebe, so komm her und unterhalte dich mit mir. Magst du Poesie? Ich bewundere gut vorgetragene Gedichte …«
Maddy zog sich zurück, fast davon überzeugt, dass es Frau Kipping aufrichtig meinte.
Sie nahm ein einsames Abendessen zu sich: Sekretär Kipping arbeitete länger als gewöhnlich. Sie zog sich zurück und ließ die Verbindungstür angelehnt. Schließlich klopfte Kipping. Sie forderte ihn auf einzutreten. Er spähte herein, mit Schlafmütze und in einem ausladenden Nachthemd.
»Alles in Ordnung?«, fragte er. »Du hast alles, was du brauchst? Ich möchte dich nicht stören, wenn du nach deiner Reise müde bist …«
»Da ist was, das brauche ich ganz dringend«, erwiderte Maddy. »Tatsächlich bereitet mir seine Abwesenheit Sorge.«
»Sag schon!«
»Ich brauche einen Mann zwischen meinen Beinen, der auf mich einhämmert wie ein Schmied. Komm sofort her und zieh dieses lächerliche Nachthemd aus!«
Er lachte und gehorchte, und sie sorgte dafür, dass er sich wieder jung fühlte.
In den nächsten paar Tagen entwickelte sich eine Routine, und der wichtigste Teil davon war das Abendessen. Kipping arbeitete lange Stunden, und seine erste Pflicht nach seiner Heimkehr war ein Besuch bei Irene. Anschließend setzte er sich für ein Glas Wein und einen Imbiss in sein Arbeitszimmer und plauderte mit Maddy. Siebegriff bald, dass ihm dieses kleine Schwätzchen mindestens
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