Dunkles Licht
beleidigt. »Ich glaube kaum, dass dies in einer solchen Gesellschaft ein passendes Gesprächsthema ist.«
»Oh … äh … ja, Hochwürden.« Seine Hoheit wurde puterrot und sackte in sich zusammen.
Wie ein Ritter im Turnier jagte Prinzessin Emily in das peinliche Schweigen hinein. Wenn Emil ein Trottel war, dann war seine Cousine von äußerst scharfem Verstand und konnte sich sowohl hinsichtlich Witz als auch ätzender Bemerkungen gut behaupten. Sie hatte grüne Augen, rotes Haar und war an diesem Abend in kühne Gold- und Bronzefarben gekleidet, die sich nur ein Mitglied des Königshauses leisten konnte. Ihr pferdehaftes Erscheinungsbild hatte sie hauptsächlich Nase und Zähnen zu verdanken, aber sie war auch hochgewachsen, großknochig und lärmend.
»Sehr wohl, Hochwürden! Lasst uns doch auf jeden Fall das Gespräch erbaulicher gestalten. Warum spielen wir nicht das Fragespiel? Stellt eine Frage!«
Wybrows fleischiger Mund vermied knapp ein höhnisches Grinsen. »Worin besteht der Zweck des Lebens?«
»Ausgezeichnet!«, dröhnte ihre Hoheit. »Tiefgründig! Euer Hochwohlgeboren?«
Die Gräfin, deren Gewand zu viel Haut für eine menschliche Pflaume zeigte, war erwählt worden, weil sie links von Wybrow saß. Sie errötete wütend, wie eine nasse Henne. »Der Zweck einer Ehefrau besteht darin, ihrem Gatten zu dienen.«
Grüne Augen verdrehten sich und sahen dann auf das nächste Opfer, den Botschafter.
»Der Zweck eines Mannes besteht darin, Gott, König und Land zu dienen. In dieser Reihenfolge.«
Maddy war die nächste. »Vermehrung«, erwiderte sie.
Mehrere schnappten nach Luft. Hochwürden blies sich auf wie ein Ochsenfrosch. »Das ist eine widerliche Obszönität!«
»Nur dann, wenn Ihr mit ›Leben‹ einfach nur ›Menschen‹ meint«, entgegnete sie süß. »Vögel, Insekten und Fische vermehren sich. Was könnten sie sonst tun, außer Nachwuchs zu produzieren, aufzuziehen und zu verteidigen?«
Der Kronprinz brach in lautes Gelächter aus. »Gut gesprochen! Ohne Eier keine Hähnchen, nicht wahr?«
»Ich glaube, die Wells hat den Punkt gewonnen, Hochwürden«, sagte Emily. »Emil? Worin besteht der Zweck des Lebens, was sagst du?«
»Meines hat im Moment keinen«, antwortete ihr Vetter und brachte dadurch das Gespräch völlig zum Erliegen. Man wusste, dass die Gesundheit des Königs Anlass zur Sorge bot.
Das leichte Abendessen hätte einer Bauernfamilie für eine ganze Woche gereicht. Mehrere der männlichen Gäste wurden laut und rot im Gesicht, jedoch nicht Kipping, denn er hielt sich beim Trinken zurück. Schließlich riefen die Männer nach Tabak, und die Damen kehrten ins Gesellschaftszimmer zurück. Bevor sie sich alle um den Kamin niedergelassen hatten, forderte Prinzessin EmilyMaddy mit einem herrschaftlichen Ruck des Kopfes auf, zu ihr zu kommen, eine noch pferdeähnlichere Geste. Gehorsam folgte Maddy ihr außer Hörweite der anderen.
Einmal wenigstens sprach sie leise.
»Hat mir gefallen, wie Ihr Wybrow zum Schweigen gebracht habt, aber was war die Ursache für den kleinen Zwischenfall bei Eurer Ankunft gewesen?«
Bei jedem anderen hätte Maddy zurückgefragt: »Welcher Zwischenfall?«, aber ein Mitglied der königlichen Familie zu belügen, war eine ernsthafte Angelegenheit.
»Die Ländereien meiner Familie grenzten an den Grundbesitz des Grafen in Norcaster. Jetzt sind sie Teil des Grundbesitzes Norcasters.«
»Aha. Und sind die Eigentumsurkunden etwas beschmutzt? Oder blutbefleckt?«
»Beides.«
»Dann«, sagte die Prinzessin, »wird Privatsekretär Kipping ihn hoffentlich so weit bringen, dass er sich die Hosen mit Blut vollpinkelt. Kommt!« Sie schritt zurück zu den anderen.
Das war Maddys Debüt in ihrer zweiten Karriere, aber nur wenige Menschen waren dabei Zeugen gewesen. Am folgenden Abend begleitete Kipping sie zu einem Maskenball, und sie hatten die besten Plätze in der Halle. Mehrere hundert der besten Leute sahen sie zusammen, und die Neuigkeit würde die oberen Zehntausend gewiss wie ein Gewittersturm überrollen.
Am nächsten Morgen traf ein riesiger Strauß Blumen für Maddy vom Ehrenwerten Tristan Rastel ein. Zu dieser Zeit des Jahres mussten es künstliche Blumen sein, aber der Dankesbrief war echt.
Kapitel 27
Jeder Winter weicht am Ende dem Frühling. Schwalben kehren zurück. An kahlen Zweigen sprießen Blüten und Knospen. Und aus Jungen werden, wenn es für sie an der Zeit ist, Männer.
Lady Whatmans Schule in Rose Hall hatte ihren Zweck
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