Duocarns - David & Tervenarius
das Buch und starrte auf den hübschen Schäferhund mit der heraushängenden Zunge auf dem Titelblatt. Hatte er Lust ins Bett zu gehen? Nicht wirklich. Und wie war es mit Aufstehen? Es war ihm gleichgültig, ob er am nächsten Morgen aufwachte. Ich bin ein Loser, dachte er. Tervenarius war wie mein rechtes Bein, und ich habe in den vergangenen Jahren nicht geschafft, ohne ihn laufen zu lernen. Ich habe ihm mein Herz geschenkt und irre nun wie ein Zombie mit einem Loch in der Brust herum. Ich möchte mit niemandem mehr schlafen, den ich nicht liebe. Bloß wie soll ich mich neu verlieben ohne Herz? Ich bin das alles so leid. Und ich bin so wahnsinnig müde. Er blickte auf seine sehnigen, abgearbeiteten Hände, auf die schwarzen Ränder seiner Fingernägel. Ich sehe aus wie vierzig und nicht wie neunundzwanzig. Aber wen interessierte das? Er wollte nur noch schlafen. Und das am Liebsten für immer.
Ja, dachte er, es ist so weit. Ich bereite dem Elend jetzt ein Ende. Der Dachboden hat ein starkes Holzgebälk. Und am besten nehme ich direkt ein Seil mit hinauf.
Er stand auf. War es nötig, den anderen ein paar Zeilen zu schreiben? Nein, besser er räumte seine Kaffeetasse weg und spülte sie. Dann hätten seine Mitbewohner nicht noch Arbeit mit ihm. Ach ja, die Tiere.
Er reinigte seine Tasse sorgfältig und trocknete sie ab, hängte er das Geschirrtuch liebevoll auf die Heizung zum Trocknen. Wie eine gefühllose Marionette lief er los, zog seine Stiefel an. Den Anorak ließ er hängen. Es war in dieser Situation völlig egal, ob er sich eine Erkältung holte.
Überall auf dem Grundstück waren Bewegungsmelder befestigt. Licht flammte auf, und er konnte ohne Probleme zu den Hundezwingern laufen. Vorher machte er noch einen Abstecher in die Futterküche und nahm einige Hunde-Leckerli mit, die er in die Taschen seiner zu großen Jeans stopfte. Zwei Jahre zuvor hatte er sich eine Hose gekauft, aber durch seine ständige Gewichtsabnahme schlackerte diese um seine Beine und er hatte sie mit einem Gürtel zusammenbinden müssen. Vorsichtig gab er jedem der Hunde einen Hundekräcker durch die Gitter, die sein Geschenk schwanzwedelnd entgegennahmen. Von seinen ehemals fünfundsiebzig Kilo waren noch fünfundfünfzig übriggeblieben. Patallias Maßnahmen und Ratschläge hatten sich als sinnlos erwiesen, denn es war ihm gleichgültig, wie viel er wog.
Ohne nachzudenken, öffnete David die Tür zum Werk-Schuppen und nahm ein stabiles Seil von der Wand. Diese Werkstatt war sein und Chroms ganzer Stolz, denn jedes Werkzeug hatte seinen genauen Platz und wehe dem, der diese Ordnung störte. Hoffentlich vermisst er den Strick nicht, dachte David, während er ins Haus zurückging und dabei mit seinen Stiefeln schwarze Schmutzreste auf der hellen Treppe hinterließ. Verflixt. Sollte er das noch wegputzen? Warum hatte er es versäumt, einen Dankesbrief an alle zu schreiben? Nun würden sie für ihn putzen müssen. Er öffnete mit einem Hakenstab die in die Decke eingelassene Luke zum Dachboden und fuhr die schmale Holztreppe aus. Er schwankte. Sollte er zurückgehen und einen Eimer mit Wasser und einen Putzlappen holen? David blickte nach oben in den dunklen Speicher. Dessen Schwärze erschien ihm verlockend. Schritt für Schritt setzte er einen Fuß vor den anderen. Stufe für Stufe. Jede Bewegung ein Stückchen weiter zur endgültigen Freiheit.
Er knipste das Licht an. Die einzige Glühbirne beleuchtete den staubigen Holzboden und ein wenig Gerümpel in der hinteren Ecke des sonst kahlen Raumes. David begutachtete die rauen, braunen Holzbalken. Aus Eichenholz gefertigt würden sie sein Fliegengewicht garantiert halten. Ob er es beim ersten Mal schaffte, das Seil darüberzuwerfen?
Entschlossen rollte er ein Seilende zusammen und warf. Es schlang sich um den Balken und hing auch noch so lang herunter, dass er das Ende greifen konnte. Ja, dachte er, geschickt bin ich immer gewesen. Nun einen Knoten und eine Schlaufe auf der anderen Seite. Perfekt.
So also endete es. Das kurze, sinnlose Leben des David Martinal. Er nickte und zog prüfend an der Schlinge. Er brauchte noch einen Stuhl. War hinten einer im Gerümpel? Die Glühbirne beleuchtete den Haufen nur unzureichend. Während er darauf zuging, klapperte es im tiefer liegenden Stockwerk. Die anderen waren doch weg. Das konnte der Kater gewesen sein.
Da war ein alter, weiß lackierter Küchenstuhl leicht verkeilt in diversem Krimskrams. Ideal. Er hatte keine Lust, ihn zu tragen und
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