Duocarns - David & Tervenarius
schleifte ihn zu seinem Seil. Hatte er unten Stimmen gehört? Verdammt! Waren sie schon zurück? Die Schlinge muss höher sein, dachte er. Das klappt so nicht. »David?« Jemand suchte ihn. Er musste sich beeilen, sonst fanden sie ihn, bevor er fertig war. Er fummelte an dem Strick, um die Schlaufe neu zu knüpfen. »David?« Wer war das, der ihn da rief? Die Stimme kam ihm bekannt vor. Aber das konnte ja nicht sein. Er halluzinierte. Nun schnell, denn die Schritte kamen näher, waren schon auf der Speichertreppe. Er stieg mit einem Fuß auf den Stuhl. Der wackelte ein bisschen. Hoffentlich hielt der für den kurzen Augenblick. Er wollte sich auf den Küchenstuhl schwingen, als ihn jemand von hinten festhielt. »David?« Seine Stimme war nun ganz nah. Seine ... Es war seine Stimme. Die starken Hände zogen ihn zurück, drehten ihn um, hielten ihn an den Oberarmen fest. Terv.
Tervenarius trug ein weißes, glänzendes Gewand, wie ein Engel, der soeben aus dem Himmel gestiegen war. Sein Haar war länger als David es in Erinnerung hatte. Das Gesicht, besorgt, doch die Augen voller Liebe. Warme Löwenaugen, in denen er sich sonnen konnte.
David versuchte sich loszureißen, wollte testen, ob das, was er sah, Wirklichkeit war, denn die baumelnde Glühbirne tauchte Tervs Gesicht in ein Wechselspiel aus Licht und Schatten und gab ihm etwas Geisterhaftes. Der Druck auf seine Oberarme wuchs, schmerzhaft. Er wurde festgehalten.
»Terv?«, fragte er ungläubig.
Der zog ihn zu sich heran, küsste seine Stirn, seine Wangen, seine Nase, glitt zu seinem Mund. Tervs Lippen, der Duft von Marzipan und Veilchen, starke Arme, die ihn hielten: Geborgenheit, Liebe, Sorge, Freude, Zweifel. David zitterte. Sein totgeglaubter Freund stand vor ihm, als wäre er nie fort gewesen.
Er stieß Tervenarius von sich, tat einen Schritt nach hinten gegen den Stuhl, der mit einem dumpfen Geräusch umkippte. »Du bist wieder da? Einfach so? Wo warst du? Warum hast du mich im Stich gelassen?« Tränen strömten über seine Wangen. Er schlotterte, völlig aufgelöst.
Terv starrte ihn an. Sei Blick glitt an dem Seil hoch bis zu dem Holzbalken und zurück, musterte ihn von oben bis unten. Verstehen und echte, reine Qual erschien auf seinem Gesicht. Seine Augen verdunkelten sich.
»Terv«, flüsterte David. Plötzlich wurde ihm klar, dass, wenn Tervenarius fünf Minuten später gekommen wäre, er bereits leblos im Dachboden gehangen hätte. »Du hast mich gerettet.« Er spürte, wie seine Knie nachgaben. Tervenarius war sofort bei ihm und fing ihn auf.
Er trug David, so wie er ihn immer getragen hatte, mühelos, mit leichten Schritten, die Stufen vom Dachboden hinab. Er hielt ihn auf den Armen wie damals, als sie sich kennengelernt hatten, oder vor Jahren, wenn er David einfach ins Bett schaffte, weil er Terv wieder übermütig gereizt hatte.
Diese Vergangenheit erschien David irreal. Das war nicht er gewesen. Das war ein junger, lustiger und unbeschwerter David gewesen. Der abgemagerte Mann, den Tervenarius nun in den Armen hielt, war gealtert, kaputt, frustriert, nicht einmal fähig richtig zu sprechen, geschweige denn Scherze zu machen.
Terv schubste im oberen Stockwerk eine Tür nach der anderen auf, bis er sein Zimmer erkannte, trat ein und ließ David auf das Bett sinken. Angst schlich David den Rücken hinauf. So einsilbig und verbittert, wie er nun war, würde Tervenarius ihn nicht mehr lieben können. David saß auf der geblümten Bettdecke, sah seinen engelsgleichen Geliebten an und schämte sich. »Entschuldige. Bitte verzeih mir, Terv.«
Der setzte sich zu ihm auf die Bettkante, sein Gewand rauschte bei jeder Bewegung. »Nein, du hast recht. Ich habe dich allein gelassen. Wie lange war ich weg?« Er schien wirklich nicht zu wissen, wie viel Zeit vergangen war.
»Vier Jahre.«
Tervenarius senkte den Kopf, schlug eine Hand vor die Augen. Goldene Tränen kugelten lautlos an seinem Gewand hinab, sammelten sich in seinem Schoss. Um Himmels willen! Er weinte! David hatte das erst ein einziges Mal erlebt. Und er hatte sich damals geschworen, dass er das niemals wieder sehen wollte. Terv, der Kontrollierte und Selbstbewusste, sein Fels in der Brandung. David konnte nicht ertragen, ihn die Fassung verlieren zu sehen, empfand dessen Traurigkeit mit, wie eine Welle, die ihn mit sich riss.
Mit all seiner Kraft riss er Terv an sich. Tränen rannen über sein Gesicht. Es war ihm egal, wo sein Geliebter gewesen war. Wo auch immer dieser Ort
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