Durch den Sommerregen
fotografieren?“
„Weil ich ungewohnt glücklich bin, wenn wir zusammen sind und weil ich unbedingt ein Bild von diesem hungrigen Blick brauche, bevor ich mich um dich kümmere.“
Ungewohnt glücklich, sagt er. Er sollte sich besser nicht dran gewöhnen. Niemand bleibt in meiner Nähe lange glücklich, aber ich bin auch zu egoistisch, um mich jetzt noch von ihm zu distanzieren.
11.
Endlich bin ich die verfluchten Fäden los. Meine Handfläche ist nur noch mit einem Pflaster geschützt, das ich hoffentlich bald weglassen kann. Auch wenn es durch die Wundheilung jetzt juckt, habe ich zumindest wieder einen besseren Griff und kann ohne Plastiktüte über der Hand duschen.
Immer wieder driften meine Gedanken zu Gabriel. Mit einem Wagen voller Rückgaben stehe ich vor dem Regal mit Biographien und grinse wie ein Idiot. Auch wenn ich es vermeiden möchte, ich kann es nicht. Er ist in meinem Kopf und schleicht sich erfolgreich in mein Leben.
Noch etwas hat er geschafft, das mir erst bewusst geworden ist, weil es jetzt verschwunden ist. Dieses betäubte, abgestumpfte Gefühl der letzten zwei Jahre hat sich von meinem Gemüt gehoben und er ist derzeit die einzige Erklärung.
„Ich weiß ja nicht, wer dich flachgelegt hat, aber er muss sehr gut gewesen sein“, grinst mich Steffi durch eine Lücke im Regal an. Ich habe sie gar nicht bemerkt, so sehr war ich in meine Gedanken versunken.
„Ach was“, wimmele ich sie ab. „Die paar Tage Zwangspause haben mir einfach ganz gut getan. Niemand hat mich flachgelegt.“ Noch nicht.
„Das müssen sehr gute Tage gewesen sein. Ich hab dich noch nie derart lächeln gesehen.“
Ich weiß, dass ich ein Griesgram sein kann, aber das es auffällt, wenn ich mal gut drauf bin, gibt mir schon zu denken.
„Du hast doch einen besseren Überblick über die Bildbände. Gibt es da eine gute Ausgabe über Schwarz-Weiß-Fotografie?“, frage ich sie.
„Wir können gleich mal zusammen nachschauen. Hast du ein neues Hobby?“
„Ich? Nein. Im Kreativbereich bin ich in ziemlich jeder Richtung talentbefreit. Ich suche ein Geschenk für jemanden und wollte es mir erst anschauen, bevor ich es kaufe.“
„Für jemanden?“, fragt sie mit einem wissenden Grinsen.
Ich hasse es, wenn sie das tut.
„Ja, Steffi. Für jemanden! Und nein, es gibt nichts zu erzählen.“
„Schade. Ich dachte schon, ich hätte das Geheimnis deiner guten Laune gelüftet.“
„Darf ich nicht mal gut drauf sein, ohne gleich darauf angesprochen zu werden?“
„Süße, ich mag dich sehr, aber bei dir fällt es wirklich auf. Du bist sonst immer in dich gekehrt und verschlossen.“
Meine einzige Reaktion darauf besteht darin, die Lücke im Regal mit Büchern zu füllen und sie damit auszublenden.
Ich mag es, ihn zu betrachten, wenn er sich unbeobachtet fühlt. Nach einem langen Tag in der Bibliothek ziehe ich mich mit einem Becher Tee auf den Balkon zurück und schaue über die Brüstung in den Shop. Zwar erhasche ich immer nur einen flüchtigen Blick von ihm, doch das reicht mir für den Moment.
Er verhält sich anders, wenn er mit mir zusammen ist. Am Anfang war mir das nicht bewusst, aber obwohl er gerne flirtet, bleibt er distanziert. Bei mir ist er das nicht und war es eigentlich nie.
Wie ich, knabbert auch er an seiner Vergangenheit und ist dahingehend sehr verschlossen, doch mir gegenüber trägt er sein Herz auf der Zunge.
Ich will den Vergleich nicht anstellen, aber Sebastian war nie so. Seine Umarmungen waren immer steif und gezwungen. Oft hatte ich das Gefühl, er hat meine Nähe außerhalb vom Sex nur geduldet und war erleichtert, wenn ich ihm nicht mehr als nötig auf den Leib gerückt bin. Sowohl körperlich als auch emotional. Das Verlangen, mich bei ihm anzulehnen und auch mal auszuweinen, hat er mir innerhalb kürzester Zeit ausgetrieben, weil er stets die Flucht ergriffen und mich an andere Personen abgeschoben hat.
Im Rückblick kann ich unsere Beziehung kaum noch nachvollziehen, damals habe ich es akzeptiert, weil ich ihn bis zu einem gewissen Punkt sehr geliebt habe.
Doch an diesem warmen Sommerabend, mit dem perfekten Ausblick, lasse ich es nicht zu, mich von diesen Gefühlen herunterziehen zu lassen. Das bevorstehende Jahrgedächtnis in zehn Tagen wird das erfolgreich ohne mein Zutun schaffen.
Inzwischen sind wir an diesem Punkt, wo es keiner festen Verabredung bedarf, um sich zu treffen. Darum erwarte ich ihn schon, als er nach Ladenschluss den Shop verlässt und sich auf der
Weitere Kostenlose Bücher