Durch den Sommerregen
habe.
Völlig durchnässt führe ich höflichen Small Talk, an den ich mich schon Momente später nicht mehr erinnern kann. Ich zittere, obwohl der Regen warm ist und Dampf vom aufgeheizten Boden aufsteigen lässt.
All das ist falsch. Ich will hier nur weg. Niemand ahnt, dass der tatsächliche Sinn dieses Tages völlig an mir vorbeigeht. Niemand weiß, dass er überhaupt stattfindet. Meine Eltern nicht und auch Gabriel habe ich es nicht erzählt. Er glaubt, ich müsste arbeiten.
Sebastians Eltern sehen immer noch so gebrochen aus, dass ich sie kaum anschauen mag. Sie haben ihr Kind verloren und ich kann mir vage vorstellen, wie schlimm das ist, aber ich will keine Anteilnahme heucheln. Sie haben mich zwar toleriert, aber nie in der Familie akzeptiert. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sebastians Mutter in all den Jahren auch nur ein nettes Wort an mich gerichtet hat. Deswegen verstehe ich auch ehrlich gesagt nicht, warum sie mich unbedingt hier haben wollen.
„Kommst du mit zum Essen zu uns nach Hause?“, fragt Sebastians Schwester Karina, nachdem sie ihren Blumenstrauß auf dem Grab platziert hat.
„Ich hab leider noch einen Termin.“ Die schamlose Lüge fällt mir nicht schwer, denn länger ertrage ich diese Veranstaltung nicht.
„Das ist schade. Wir sehen überhaupt nichts mehr von dir.“
Aus gutem Grund. Karina ist in Ordnung, aber die vorwurfsvollen Blicke ihrer Eltern kann ich nicht ertragen.
Nach einer knappen Verabschiedung schleppe ich mich zum Auto. Der lehmige Boden auf dem Parkplatz ist völlig aufgeweicht und dringt mir in die halboffenen Schuhe, doch auch das spüre ich kaum. Nachdem mir zweimal der Autoschüssel in den Dreck gefallen ist, finde ich endlich den Knopf für die Zentralverriegelung. Die Scheiben beschlagen augenblicklich von innen, als ich die Tür hinter mir schließe. Ich starte den Motor und lasse das Gebläse der Klimaanlage seine Arbeit tun, bevor ich mich anschnalle und die Handbremse löse. Völlig auf Autopilot fahre ich auf die Autobahn, auch wenn ich nur einen Stadtteil weiter wohne.
Das beginnende Schwindelgefühl hätte mein erster Indikator sein sollen, doch erst als ich Probleme habe, in der Spur zu bleiben, spüre ich, dass ich kaum noch atmen kann. Ich sehe nichts, weil ich vergessen habe, wie man die Scheibenwischer richtig bedient und der Regen laut auf das Autodach prasselt. Meine Mutter neigt zu Panikattacken und ich habe es immer belächelt, wenn sie von der Todesangst gesprochen hat, die sie dabei überkommt, doch genau dieses Gefühl überfällt gerade jeden Nerv in meinem Körper. Meine Füße rutschen von den Pedalen ab, weil mir immer noch das Wasser aus den Schuhen tropft.
Ich fahre vermutlich nicht schneller als 50 Stundenkilometer, denn die Autos hinter mir starten schon auf weite Entfernung ihren Überholvorgang.
Da sehe ich sie: Die Brücke, die Sebastian zum Verhängnis geworden ist. Durch den Wasserschleier auf meiner Windschutzscheibe glaube ich sogar noch, die Aufprallstelle erkennen zu können. Unwillkürlich nehme ich den Fuß vollständig vom Gas und lasse den Wagen nur noch rollen. Ein letzter Rest Verstand lässt mich den Warnblinker einschalten und auf den Standstreifen lenken.
Ich bekomme kaum den Kiefer auseinander, so verkrampft bin ich, doch irgendwie schaffe ich es, Gabriel anzurufen. Es scheint ewig zu dauern, bis er abnimmt. Wahrscheinlich waren es nur wenige Sekunden. Ein unkontrollierter Wortschwall kommt aus meinem Mund, den ich selbst nicht mehr widergeben kann, doch Gabriel versteht genug.
„Wo bist du?“, ist alles, was er fragt.
Den ersten tiefen Atemzug mache ich, als er auf der Beifahrerseite neben mir einsteigt.
Ein Blick auf mich reicht ihm, um meinen Gurt zu öffnen und mich auf seinen Schoß zu ziehen. Das Auto ist eigentlich viel zu eng dafür, doch gerade komme ich mir ziemlich klein vor.
Er fragt nichts, sondern hält mich nur in seinen Armen und streichelt mir immer wieder beruhigend über den Rücken.
„Du hättest es mir sagen sollen“, flüstert er. „Ich will dich nicht bedrängen, aber ich hätte wenigstens am Friedhof auf dich warten können, um dich nach Hause zu fahren.“
Ich will nicht weiter darauf eingehen. Für heute will ich eigentlich gar nichts mehr davon hören.
„Wie bist du hergekommen?“, frage ich.
„Markus hat mich gefahren. Er steht noch hinter uns und wartet, bis ich ihm das Okay gebe, weiterzufahren. Irgendwer muss ja dein Auto nach Hause bringen.“
„Ich kann
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