Durch den Sommerregen
Autotür öffne, springt er auf meinen Schoß und gibt mir noch nicht mal die Möglichkeit, die Beine aus dem Wagen zu schwingen.
„Hey Süßer. Was ist denn los? Lässt dein Herrchen dich nicht ins Haus? Hast du Hunger?“
Natürlich bekomme ich nur ein Maunzen, doch die eigentliche Antwort dröhnt durch den ganzen Hof. Ohrenbetäubend laute Musik kommt aus Gabriels Studio. Ariel von Stateless erkenne ich an nur wenigen Klängen.
Mit Hund auf dem Arm gehe ich zu dem großen Fenster und riskiere einen Blick hinein. Ich rechne damit, dass er in irgendeiner Weise mit seiner Fotografie beschäftigt ist. Womit ich nicht rechne, ist der Anblick, der sich mir bietet.
Gabriel tanzt. Und ich meine nicht, dass er ein wenig durch die Gegend zappelt.
Er hat den großen Tisch in die Ecke geschoben und sich vor dem Spiegel eine Tanzfläche geschaffen. Nur in einer grauen Trainingshose und schwarzen Spitzenschuhen bewegt er sich mit einer Anmut, die ich hinter seiner rauen Fassade nie vermutet hätte. Zwar hat er mir erzählt, dass er früher klassisches Ballett getanzt hat, doch konnte ich es mir nie recht ausmalen. Und schon gar nicht konnte ich mir vorstellen, dass er es heute noch macht.
Männliche Balletttänzer habe ich mir immer weibisch und asexuell ausgemalt, aber was ich vor mir sehe, passt gar nicht in dieses Schema.
Hund wehrt sich gegen meinen Griff und will erneut flüchten, also lasse ich ihn runter, ohne den Blick von Gabriel zu nehmen. Ich traue mich kaum zu zwinkern, aus Angst etwas zu verpassen.
Er ist völlig in sich gekehrt und scheint gar nichts von der Außenwelt wahrzunehmen. Eigentlich hätte er mich längst entdecken müssen.
Sein Gesichtsausdruck ist hochkonzentriert und jeder einzelne Muskel in seinem Körper ist angespannt. Die Schweißperlen rinnen ihm von der Stirn und zwischen den Schulterblättern hinab.
Nach einer letzten Drehung sinkt er einfach auf dem Boden zusammen und lässt den Kopf zwischen seinen angewinkelten Knien hängen.
Ich habe ihn noch nie so gewollt wie in diesem Moment.
23.
Für eine Weile sitzt er keuchend auf dem Boden und umschlingt seine Knie mit zitternden Armen. Mir wird mit einer überwältigenden Wucht bewusst, wie lebendig Gabriel ist, wie facettenreich. Über Wochen hatte ich die Augen verschlossen, doch jetzt sehe ich ihn völlig anders. Natürlich hat er auch diese gebrochene Seite, die ihm seine Vergangenheit verpasst hat, doch er weigert sich, davon sein Leben leiten zu lassen.
Er ist viel mehr, als ich erfassen kann.
Ich hebe die Hand, um an die Scheibe zu klopfen, doch ich schaffe es gerade mal, die Finger aufs Glas zu legen. Gabriel hebt in dem Moment den Kopf und nimmt mich aus dem Augenwinkel wahr. Sofort verwandelt sich sein Gesicht zu einer Grimasse. Er schämt sich.
Mit einem Nicken deutet er mir, dass die Haustür offen ist.
Hund steht schon bei Fuß, bevor ich überhaupt die Türklinke betätigen kann. Er fegt an mir vorbei zu seinem Napf, als ich die Tür gerade mal einen Spalt geöffnet habe.
Mit einem Handtuch um den Hals kommt Gabriel mir entgegen. Er hat inzwischen die Musik abgestellt und die Ballettschuhe abgestreift. Auf nackten Füßen kommt er auf mich zu, sieht mich dabei jedoch nicht an.
„Ich hatte keine Ahnung, dass du heute noch vorbeischaust.“
„Offensichtlich. Gabriel, das war ...“ setze ich an und greife nach seinen Händen.
„Peinlich, ich weiß“, fährt er mir über den Mund. „Das hättest du wirklich nicht sehen sollen.“
Er schaut zwischen uns auf den Boden, also lege ich den Zeigefinger unter sein Kinn, um seinen Blick zu suchen.
„Das war atemberaubend, und ich bin froh, dass ich es gesehen habe. Du hast mir zwar davon erzählt, aber ich hatte keine Ahnung, dass du immer noch tanzt.“
„Ich bin nicht mehr gut, aber manchmal brauche ich das. Um mich von ihm zu distanzieren.“
Er muss nicht erklären, von wem er spricht.
„Du bist nicht er. Und das war wunderschön. Ich wünschte, du würdest dich nicht dafür schämen.“
Es wäre zu einfach gewesen, wenn das Thema nach seinem Geständnis nie wieder auf den Tisch gekommen wäre. Er hat nicht damit abgeschlossen und vermutlich wird er das auch nie. Wie könnte man das auch jemals hinter sich lassen? Dagegen kommen mir meine Probleme banal vor. Leider kann ich sie noch längst nicht abstellen.
Gabriel scheint nicht überzeugt von meinen Komplimenten.
„Woher kommt die schlechte Stimmung?“, frage ich. „Ist etwas
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