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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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eingestiegen waren.
    »Ich weiß nicht«, antwortete sie zögernd und umschloss die beiden Griffe der weiß bezogenen Kopfstützen mit den Fingern. »Ich habe meine Freundin verloren, sie ist Japanerin und wusste, wo wir hinmüssen.«
    Yoshihiro schaute sie mit lachenden Augen von der Seite an und sagte: »Genauso geht es mir auch.« Dann beugte er sich nach vorne und nannte dem Fahrer irgendeine Adresse, in der das Wort Hoteru vorkam. Nach einer Weile sagte er: »Und was meinen Sie, gefällt es Ihrem Koffer, von einem Fremden im Kofferraum entführt zu werden?«
    »Erstaunlich gut«, antwortete sie, verwundert über ihre eigenen Worte, »solange ich ihm keine Gesellschaft leiste.«
    »Das ist Ihre Entscheidung«, sagte Yoshihiro und schaute aus dem Fenster.
    Es durchzuckte sie. Etwas an dieser Vorstellung war aufregend. Sie schaute ihn von der Seite an, er hatte dunkle Haut für einen Japaner und ein scharfgeschnittenes, schönes Profil. Sie zog an dem Gürtel ihres Mantels und steckte sich die Sonnenbrille in die roten Haare. Er sollte ruhig sehen, was für verweinte Augen zu dem Lippenstift gehörten.
    Sie schwiegen. Das war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie mit einem Fremden gesprochen und sich dabei nicht unwohl gefühlt hatte.
     
    Tokio nahm langsam Gestalt an. Das blinkende Netz der U-Bahnen hatte ein fast realistisches Bild der Stadt gezeichnet. Das Straßenbild dagegen zerfiel mit jedem Blick in hunderttausend Pixel. Die Menschen waren nicht so angezogen, wie sie es erwartet hatte. Die schwarz gekleideten Japaner mit den asymmetrischen Rocksäumen schienen eine europäische Version zu sein, die es hier kaum gab; doch die Schulmädchen, die an einer Ampel warteten und sich gegenseitig Bilder inihren Telefonen zeigten, entsprachen mehr ihrer Vorstellung. Sie hatten gefärbte Haare, bonbonfarbene Kniestrümpfe und Hello-Kitty-Figuren auf kleinen Plastikkoffern. Ansonsten liefen vor allem farblos gekleidete, müde Gestalten herum, die Aktenkoffer oder Plastiktüten bei sich trugen. Das alles berührte sie kaum. Vor einem großen Wolkenkratzer-Hotel stiegen sie aus. Der Kofferraum öffnete sich mit einem Geräusch, das wie Ächzen klang. Sie betrachtete ihren Koffer mit dem Anflug eines schlechten Gewissens. Dann holte Yoshihiro ihn heraus und trug ihn in die Lobby.
     
    Die Lobby war riesig, überall standen hohe Vasen mit weißen und pflaumenfarbenen Blumen. Auf den Sitzgruppen in der Mitte der Lobby saßen mehrere Personen, die an Laptops arbeiteten oder sich geschäftig unterhielten. Aus dem Augenwinkel nahm sie auch eine Gruppe Europäer wahr, die am anderen Ende des Raumes zusammenstanden. Zuerst nur die Vertrautheit ihrer Haltung, dann eine Schulter, einen Nacken.
    Ein Faustschlag in den Magen.
    Sein Nacken, seine Schulter. Sie riss sich die Brille aus den Haaren und schob sie hektisch auf die Nase.
    Von einer der Blumenvasen verdeckt, sein Hinterkopf.
     
    Victor?
     
    Sie ging weiter. Sie war sich nicht sicher, aber die Haltung der Schulter ... Jetzt bloß nicht umdrehen. Das konnte doch nicht wahr sein! Hatte sie ihn schon gefunden? Sie folgte Yoshihiro an die Rezeption, hielt sich am Tresen fest und versuchte, sich auf die Rezeptionistin zu konzentrieren. Sie hatte schiefe Zähne, eine komplizierte Hochfrisur und ganz kurze, weiß lackierte Fingernägel. Victor? Sie versuchte seine Stimmeaus der Geräuschkulisse herauszufiltern, aber der Raum war zu groß dafür. Er war es nicht. Er konnte es nicht sein. Ein Phantom. Yoshihiro schaute sie fragend an.
    Sie nickte und blieb so lange mit dem Rücken zur Lobby an der Rezeption stehen, bis Yoshihiro für sie die Formalitäten geregelt hatte. Sie knöpfte ihren Mantel auf und zu. Sie konnte sich nicht umdrehen. Aber wenn das ihre letzte Chance war, Victor zu treffen, wenn sie ihn sonst nie wiedersehen würde? Sie versuchte ihren Kopf zu drehen, aber es ging nicht, sie konnte es einfach nicht.
    Die Rezeptionistin gab Yoshihiro den Pass aufgeschlagen zurück. Jetzt würde sie gleich in ihr Zimmer dürfen. Das war das Einzige, was sie jetzt noch wollte: in ihr Zimmer, dem Phantom die Tür vor der Nase zuschlagen.
    »Sie heißen Alison Ginster?« fragte Yoshihiro.
    Sie schaute ihn fragend an.
    »Nichts«, sagte er, »schöner Name, passt zu Ihren roten Haaren.«
    Sie stockte.
    »Ginster: Schmetterlingsblütler. Auch das passt.«
    »Ich möchte jetzt«, rang sie sich ab, »erst einmal duschen«, aber ihre Stimme zitterte schon. »Müde«, schob sie

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