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Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Titel: Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Spiegel, in einem dunklen Wort .«
    »>Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort .<«
    »Jetzt hast du mich nachgeäfft!« sagte er.
    »Ich wollte bloß wissen, wie die Wörter schmecken!«
    »Einst war die Erde öd und leer«, erklärte Ariel. »Dann erhielt sie die Fähigkeit, ihre eigenen Geräusche zu hören. Seit vielen Jahrmillionen hatte es geblitzt und gedonnert, das Meer war gegen die Felsen geschwappt, die Vulkane hatten mit gewaltiger Wucht ihre Lavaströme aus sich herausgeschleudert. Aber niemand hatte auch nur das geringste gehört. Heute kann dieser Planet seine eigenen Geräusche hören. Die Venus oder der Mars können das nicht. Und wenn es zu still sein sollte, können wir einfach ein Orgelkonzert von Johann Sebastian Bach auflegen. Ich mag die großen Konzerte unter freiem Himmel am liebsten. Dann brausen die allerschönsten Klänge dieses Planeten ins Himmelsgewölbe hinaus. Und dann sind da noch die Konzerte im Radio. Der Erdball klingt ganz von selbst. Um eine glühende Sonne in der Milchstraße wirbelt eine kleine Spieldose als Erdball herum.«
    »Vielleicht hättest du lieber Dichter werden sollen«, schlug Cecilie vor. »Wenn du dafür nicht zu unmodern bist.«
    »Dann wäre ich lieber Naturforscher. Ich verstehe nämlich nicht so recht, was da passiert, wenn ihr miteinander redet und die unsichtbaren Wörter aus einem Mund kriechen und dann durch ein enges Ohr krabbeln, ehe sie schließlich mit einem geleeartigen Gehirnklumpen verschmelzen.«
    Genau das, was der Engel beschrieben hatte, geschah jetzt. Seine seltsamen Worte verschmolzen mit Cecilies Gehirn und wurden zu ihren eigenen Gedanken. Sie dachte so lange darüber nach, daß Ariel wieder das Wort ergriff.
    »Ebenso erstaunlich ist es, daß ihr die Wörter im Mund formen könnt. Manchmal geht das rasend schnell. Dann scheinen die Wörter nur so aus euch herauszuströmen. Kommt es auch vor, daß ihr erst hinterher richtig begreift, was ihr gesagt habt?«
    Sie senkte den Blick.
    »Wir überlegen uns nicht immer alles, was wir tun. Wenn ich mich beeilen muß, um rechtzeitig in der Schule zu sein, renne ich einfach. Dann habe ich keine Zeit, mir zu überlegen, wie ich die Beine bewegen soll. Da würde ich wahrscheinlich bloß stolpern. So ist es auch manchmal beim Reden. Manchmal stolpern wir über unsere Wörter.«
    »Und ihr müßt die ganze Zeit Luft holen und sie wieder ausatmen. Geht das auch von selbst?«
    »Ich glaube schon.«
    »Das klingt ein bißchen unheimlich. Denn wenn ihr plötzlich mal vergeßt Luft zu holen, hört euer Herz auf zu schlagen. Und wenn das Herz aufhört zu schlagen ...«
    »Hör auf!« fiel Cecilie ihm ins Wort. »Zum Glück müssen wir nicht über alles nachdenken.«
    Er schlug sich die Hand vor den Mund.
    »Tut mir leid! Wir haben darüber gesprochen, wie ihr die unsichtbaren Wörter im Mund formt, ehe sie anfangen, zwischen Mund und Ohren herumzuflattern. Stimmt es, daß alle Menschen unterschiedliche Stimmen haben?«
    Cecilie nickte.
    »Wenn Mama sagt: >Hast du gut geschlafen?<, hört sich das ganz anders an als bei Papa oder bei Oma. Ich kann den Kopf unter die Decke stecken und doch genau hören, wer mit mir spricht. Und bei jedem Menschen klingt noch das kleinste Wörtchen ein bißchen anders. Das gilt übrigens auch für Musikinstrumente. Auf einer Klarinette klingt ein eingestrichenes C anders als auf einer Geige. Und ich habe gelesen, daß keine zwei Geigen sich jemals ganz genau gleich anhören. Dasselbe gilt auch für unsere Stimmen.«
    »Das zeigt, was Stimme und Ohren für feine Instrumente sind.«
    »Selbst bei geschlossenem Fenster kann ich den Wind draußen hören; und ich höre, wenn der Postbote über den Weg geradelt kommt. Du hättest ihn übrigens sehen sollen, als er vom Rad gefallen ist .« »Ich habe genauso wie du am Fenster gesessen.«
    »Du bist ja offenbar überall, du ... Wenn es im Haus ganz still ist, kann ich manchmal sogar hören, wie es schneit.«
    Sie streckte einen Arm aus.
    »Und ich kann mit den Ohren sehen !«
    »Unfug!«
    Der Engel Ariel verzog das Gesicht.
    »Wir sprechen zwar über höchst erstaunliche Dinge, aber deshalb brauchst du mich noch lange nicht zum Narren zu halten.«
    »Aber es ist wirklich so. Wenn ich in meinem Zimmer liege und von unten ein Geräusch höre, kann ich vor mir sehen, was sie gerade machen und wie unten alles aussieht.«
    »Dann siehst du das ein bißchen so, wie Engel sehen.«
    Sie zog sich an der Sofakante hoch.
    »Ich meine ja schon die

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