Durch Himmel und Hoelle
vor Jahrhunderten gestorben sind? Können die mir sagen, welche Karte ich ausspielen soll oder welche Weste zu meinem violetten Rock paßt? Hab' noch nie gehört, daß einer in Newhall auf einen Tip von Caesar oder von einem der grie- chischen Philosophen gewonnen hat.«
»Ja, Charles, ich denke, Ihr habt recht - wahrscheinlich würde es Euch nichts nützen«, stimmte ihm Elysia resigniert zu, war aber doch etwas pikiert. Charles waren alle Türen zu höheren Bildungs-
anstalten offengestanden, aber er hatte alle Chancen ausgeschlagen,
während sie und zahllose andere Frauen sich nach einer Gelegenheit sehnten, diese heiligen und doch verbotenen Pforten des Wissens zu durchschreiten.
Sie lächelte Charles an. Man mußte ihn einfach mögen mit seinem unschuldigen Knabengesicht und dem bereitwilligen Lächeln. Bei ihm hatte sie nicht das Gefühl, ständig auf der Hut sein zu müssen. Er erinnerte sie ein bißchen an Ian. Ian hatte dieselbe jungenhafte Art wie Charles. Der liebe Ian, wenn er doch nur hier wäre, dachte Elysia traurig und starrte auf die weite See, die sich bis zum Hori- zont erstreckte, wo sie eins mit dem Himmel wurde.
Charles saß schweigend da. Sie war so schön, dachte er und spürte, wie ihn eine Woge primitiver Eifersucht auf Lord Trevegne erfaßte. Sie war die schönste Frau, der er je begegnet war. Ihre Ge- genwart genügte, um ihm die Zunge zu lähmen, dabei war sie jünger als er. Sein verliebter Blick verweilte am Schwung ihres Mundes und den langen, dunklen Wimpern, die ihre grünen Augen verhüllten. Er hatte doch tatsächlich den Drang verspürt, ein Gedicht auf ihre Schönheit zu schreiben! Er, der sich immer über die Bemühungen anderer verliebter Romantiker lustig gemacht hatte. Er sah sie un- verwandt an, während er in Gedanken ein Gedicht komponierte - wie von Zauberhand tauchten die Zeilen aus dieser großen Leere auf. Ja, ja! Das war phantastisch, dachte er stolz. Byron würde wahnsinnig neidisch darauf sein. Es war eigentlich gar nicht so schwer. Er konnte nicht verstehen, warum man so viel Aufhebens um so eine Nichtigkeit machte - jeder Narr konnte sich etwas Auf- regendes ausdenken. Wenn er es jetzt nur nicht vergaß, bis er in sei- nem Zimmer war und es aufschreiben konnte. Er mußte sich auch etwas Papier besorgen und eine Feder und Tinte, dann. . .
»Charles, Charles. . . « sagte Elysia und wedelte mit der Hand vor seinen etwas glasigen Augen herum. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Oh, verzeiht«, murmelte Charles beschämt.
»Sollen wir weiterreiten?« fragte Elysia und verkniff sich ein Lä- cheln, als sie Ariel wendete und wieder in Richtung Straße ritt. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, wie Charles sein Pferd anspornte, um sie einzuholen. Sie lachte vor Freude. Es war ein wunderbares Gefühl, zu leben und keine Sorgen zu haben. Einen Augenblick lang würde sie nur an den klaren, blauen Himmel den- ken und den Spaß, daß ein präsentabler junger Mann in sie vernarrt war. Sie würde nicht an die Hoffnungslosigkeit ihrer Ehe denken oder daran, was sie dagegen unternehmen konnte.
Elysia setzte mit Ariel über eine niedrige Steinmauer und ritt auf ein Dickicht zu. Sie hörte, daß Charles ihr dicht auf den Fersen war. Sie verschwand unter den Bäumen, und die Schatten tanzten über den schmalen Pfad, während sie sich ständig ducken und auswei- chen mußte, um nicht von niedrigen Ästen gestreift zu werden.
Plötzlich hörte Elysia einen Schuß. Der Knall durchbrach die Stille des Waldes, und dann spürte sie einen sengenden Schmerz in ihrer Seite und keuchte vor Entsetzen, als sie sah, daß Blut den grü- nen Samt ihres Reitkostüms durchtränkte. Ein Ast, der über dem Weg hing, erfaßte sie und fegte sie von Ariels Rücken. Sie landete unsanft auf dem weichen Waldboden. Zum Glück dämpfte das Laub ihren Aufprall.
Elysia blieb reglos liegen, und ein Wirbel von Schwärze erfaßte sie, während sie versuchte, Luft zu holen. Die Erde schien ohrenbe- täubend zu vibrieren, und sie hatte das Gefühl, man würde sie in Stücke schütteln.
Charles sprang in Sekundenschnelle vom Pferd und lief zu der be- nommenen Gestalt am Boden. Mit aschfahlem Gesicht kniete er sich neben Elysia und sah, daß Blut aus ihrer Seite tropfte. »O mein Gott, man hat sie angeschossen!« hauchte er und wagte nicht, sie an- zufassen. Sie liegt da wie tot, dachte er verzweifelt und fragte sich, was in aller Welt er jetzt tun sollte, als ihre Augenlider langsam flat- terten
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