Durch Himmel und Hoelle
und sie ihm verwirrt in die Augen sah.
»Charles?« keuchte Elysia atemlos.
»Ja, ich bin da.« Er ergriff ihre schlaffe Hand - eiskalt war sie - und rieb sie tröstend in seinen großen, warmen Händen. Sie durfte einfach nicht sterben, sie darf es nicht, dachte er verzweifelt, und sein Magen verkrampfte sich zu einem schmerzlichen Knoten.
Elysia sah in Charles' verängstigte blaue Augen. Jetzt fiel ihr das Atmen etwas leichter. Sie mußte Charles zu Alex schicken. Alex würde wissen, was zu tun war. Alex, ja, Alex würde es wissen.
»Charles, Ihr müßt losreiten und Alex holen«, sagte sie ruhig und war überzeugt, daß sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
»Aber ich kann Euch doch hier nicht allein lassen!« rief Charles entsetzt.
»Ihr müßt es aber. Ihr habt keine andere Wahl, und ich kann un- möglich zurückreiten, Charles.«
Charles betrachtete sie unentschlossen. Er erhob sich widerwil- lig. »Also gut, ich reite los, aber unter Protest. Es widerstrebt mir zutiefst, Euch hier allein zu lassen. Was wird Lord Trevegne von mir halten, wenn ich mich einfach davonmache und Euch hier allein und verletzt zurücklasse?« Er schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich werde wie der Wind reiten, Lady Elysia. Es wird nicht lange dauern, das verspreche ich Euch.« Er warf ihr einen gequälten Blick zu. »Gibt es noch etwas, was ich für Euch tun kann, bevor ich losreite?«
»Nein, ich komme schon zurecht«, flüsterte Elysia, obwohl sie am ganzen Körper zitterte. Der Boden war kalt und feucht, und hier unter den Bäumen war es kühl.
Charles zog rasch seine Jacke aus und wickelte sie um Elysias be- bende Schultern. Dann lief er zu seinem Pferd, sprang auf und sprengte wie von Höllenhunden gehetzt davon.
Elysia mußte wider Willen lächeln und hoffte, daß ihr Retter nicht auch noch gerettet werden mußte. Sie schloß die Augen. Die Sonne, die durch die Äste schimmerte, fand eine Lücke und ergoß ihr blendendes Licht auf ihr Gesicht und ihre Augen. Sie bewegte vorsichtig ihre Beine und biß sich auf die Zunge, als sie einen ste-
chenden Schmerz in ihrem Knöchel spürte. Er hatte sich sicher im Steigbügel verfangen, als sie von Ariel gestürzt war. Ariel? Wo war er?
Elysia drehte besorgt den Kopf und beruhigte sich wieder, als sie ihn unruhig tänzelnd ein paar Meter weit weg stehen sah. Er beob- achtete leise wiehernd seine Herrin, die reglos am Boden lag. »Ru- hig, mein Junge, es ist alles in Ordnung«, beschwichtigte Elysia ihn mit leiser Stimme. Das große Tier schien beruhigt zu sein, es senkte den Kopf und begann zufrieden zu grasen.
Elysia hatte keine Ahnung, wieviel Zeit schon vergangen war, während die warme Sonne auf ihr Gesicht schien, bis die Helligkeit unter ihren Lidern verschwand, als hätte sich ein Schatten vor die Sonne gelegt. Elysia öffnete langsam die Augen und schaute in das Gesicht, das sich über sie beugte - ein vertrautes Gesicht.
Es war seltsam, daß sie sich nicht anders fühlte. Sie hatte immer geglaubt, wenn man starb, würde man in eine Finsternis versinken und keinen Schmerz mehr empfinden. Man würde einfach davon- treiben - aber sie hatte immer noch Schmerzen, und sie spürte den harten, unbequemen Boden unter ihrem Rücken. Aber wie konnte sie am Leben sein und das sehen, was sie jetzt vor Augen hatte? Ely- sia stöhnte fassungslos und flüsterte: »Ich fühle mich noch nicht tot, und trotzdem muß ich es sein, denn ich sehe dich noch einmal.« Sie schluchzte. »Oh, Ian, mein lieber Ian. Im Tod begegnen wir uns wieder.«
»Mein lieber, süßer Schatz«, murmelte eine tröstliche Stimme, »du bist genausowenig tot wie ich. Hier, faß mich an. Ich bin warm — ich lebe.« Er nahm eine ihrer kalten, zitternden Hände und drückte sie an seinen sonnengebräunten Hals, wo sie seinen starken Puls fühlen konnte.
Elysias Augen füllten sich mit Tränen, und sie flossen über ihre blassen Wangen. »Ian?« hauchte sie zögernd, aus Angst er könnte verschwinden, wenn sie zu laut redete.
»Ja, ich bin hier, Elysia, meine süße Schwester. Aber wie kommst du hierher - und was noch wichtiger ist, wie schwer bist du ver- letzt?« Sein Blick streifte suchend über ihren Körper, und seine blauen Augen verdüsterten sich, als er ihre blutdurchtränkte Seite sah. Sein Mund wurde schmal vor Wut, als Elysia leise stöhnte, während er ihre Wunde abtastete.
»Ich glaube nicht, daß die Kugel noch drin ist - es ist nur eine Fleischwunde. Glücklicherweise sind keine inneren
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