Durch Himmel und Hoelle
Organe ver- letzt, aber du hast ziemlich viel Blut verloren. Du bist von Ariel ge- stürzt, nicht wahr? Das hat auch nicht gerade geholfen. Ich werde versuchen, die Blutung zu stoppen, und dann muß ich dich zu ei- nem Arzt bringen, Elysia, ich kann dich nicht hierlassen«, sagte er in befehlsgewohntem Ton. Elysia bemerkte benommen die unge- wohnte Autorität in der Stimme ihres Bruders und zuckte zusam- men, als er sein Taschentuch gegen ihre Wunde preßte. Er war wäh- rend der letzten paar Jahre zum Mann herangewachsen, dachte sie stolz in einem Nebel von Schmerz, als sie seine breiten Schultern und das gereifte Gesicht mit den Falten der Erfahrung sah. »Ian, je- mand ist schon um Hilfe geritten«, sagte sie, als er mit seinem Ver- band fertig war.
»Losgeritten! Man hat dich hier allein gelassen? Allein und ver- wundet?« rief er wütend, nicht ahnend, daß Charles genau seiner Meinung gewesen war.
»Wir hatten keine andere Wahl. Charles konnte mich nicht allein zum Haus zurückbringen. Jemand wird sicher in Kürze die Kutsche für mich bringen.«
»Gut und schön, Elysia, aber jetzt mußt du mir erzählen, was passiert ist. Was machst du hier in Cornwall? Sind Mama und Vater auch hier?« fragte er freudig, in der Hoffnung sie zu sehen.
Elysia seufzte, schaute ihm direkt in die Augen und rüstete sich für die Aufgabe, die ihr wesentlich schmerzlicher war als ihre Wunde.
»Ian.«
»Ja«, er runzelte die Stirn. Ihr Tonfall gefiel ihm nicht.
»Mama und Papa sind tot.« Elysia nahm seine große Hand zwi- schen ihre kleinen und fuhr mit tränenerstickter Stimme fort. »Sie sind bei einem Unfall ums Leben gekommen. Papas neues Phaeton hat sich überschlagen - nein, Ian, bitte«, sagte sie, als sie sein ent- setztes Gesicht sah, »sie waren sofort tot. Sie haben nicht gelitten, und sie sind gemeinsam gestorben. Sie hätten es so gewollt. Und, Ian«, fügte Elysia hinzu, »sie haben nicht mehr erlebt, daß du als vermißt gemeldet und dann für tot erklärt wurdest. Sie dachten, du kämpfst immer noch tapfer auf See. Wenigstens dafür können wir dankbar sein.«
Elysias Hände schmerzten, so fest umklammerte sie die von Ian. Sein rostroter Kopf war gebeugt, und sie fühlte die Tränen, die auf ihre vereinten Hände tropften.
»Wann?« brachte er schließlich heraus.
»Vor über zwei Jahren«, erwiderte Elysia und beobachtete, wie er sich allmählich von dem Schock erholte.
»Du solltest still liegenbleiben«, sagte er, als sie versuchte, sich auf die Ellenbogen zu stützen. Seine brütende Miene zeigte ihr, daß er etwas vor ihr verbergen wollte. Sie durfte nicht zulassen, daß er seine Trauer in sich hineinfraß, wie sie es getan hatte.
»Es hilft mir, wenn ich reden kann, das lenkt mich von dem hier ab.«
Ian sah Elysia neugierig an. »Wie kommt es, daß du hier bist? Ich kann mich nicht erinnern, daß wir hier in Cornwall irgendwelche Bekannten haben. Bist du zu Besuch?«
Elysia fragte sich, wie in aller Welt sie ihm ihre jetzige Lage auf Westerley und alles, was in den zwei Jahren passiert war, erklären konnte.
»Du kommst doch zurecht, oder?« fuhr er fort. Er hatte ihr Schweigen gar nicht bemerkt. Dann sagte er plötzlich in scharfem
Ton: »Eine Anstandsdame. Wer ist denn deine Anstandsdame in Rose Arbor? Wir haben doch kaum Verwandte, wenn ich mich recht erinnere. Du hast doch eine Anstandsdame, nicht wahr, Ely- sia?« fragte er mißtrauisch. Er kannte ihren Hang zur Unabhängig- keit und Aufsässigkeit.
»Rose Arbor mußte verkauft werden, Ian«, sagte sie ohne Um- schweife, obwohl sie es verabscheute, ihm noch einmal weh tun zu müssen. »Alles ist weg. Alles, was wir hatten, existiert nicht mehr- wir besitzen nichts.«
»Weg?« rief Ian ungläubig. »Aber wie? Was ist passiert?«
»Wir waren verschuldet. Alles mußte verkauft werden, um die Gläubiger zu bezahlen.«
»Und du, Elysia? Was ist mit dir geschehen? Du mußtest dir doch nicht etwa eine Stellung suchen?« fragte er außer sich, daß sich seine Schwester womöglich ohne einen Penny hatte durchschlagen müs- sen. Dann schien er plötzlich zu bemerken, wie elegant und mo- disch sie gekleidet war. Er sagte grimmig: »Du hast doch nicht etwa einen Mann als Beschützer?«
Elysia begriff zuerst nicht, was er meinte, und als es ihr däm- merte, wurde sie dunkelrot vor Scham und sagte vorwurfsvoll: »Ian, wie kannst du nur annehmen, daß ich so tief sinken würde?« Elysia sah ihn an wie ein verwundetes Tier, das einen grausamen Schlag
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