Durch Himmel und Hoelle
versetzt bekommen hatte.
Ian beugte sich zu ihr, küßte eine hochrote Wange und rechtfer- tigte sich dann traurig. »Seit ich von zu Hause wegging, habe ich so viele herzzerreißende und quälende Dinge gesehen, daß mich nichts mehr schockiert oder überrascht. Die Menschheit hat diese Welt zur Hölle gemacht. Krieg, Tod, Zerstörung. Ich hätte nie gedacht, daß es solche Grausamkeit gibt, wie ich sie gesehen habe«, mur- melte er, und die Erinnerung verdüsterte seine Augen.
»Ian, das mag sich vielleicht verrückt anhören, aber warum bist du nicht tot? Wir haben einen Brief vom Ministerium erhalten, in
dem steht, daß du getötet wurdest. Er kam am Tag nach dem Unfall von Mama und Papa.«
»O mein armer Schatz. Was du durchgemacht haben mußt, und niemand war da, der dich tröstet. Aber weißt du, sie dachten wirk- lich, ich wäre tot. Wir waren in eine Schlacht mit einigen der großen Kriegsschiffe Napoleons verwickelt. Mein Schiff hatte keine Chance, es war zu klein und hatte zu wenig Munition und eine zu kleine Besatzung. Wir haben uns aber tapfer gewehrt, bis uns eine Breitseite von Kanonen, wie ich sie nie wieder sehen will, getroffen hat. Wir sind wie ein Stein gesunken. Der ganze Bug hat gebrannt. Ein paar von der Mannschaft wurden von den Franzosen aufge- fischt - die kamen ins Gefängnis. Andere, die verwundet waren, hatten überhaupt keine Chance und sind ertrunken. Ich hatte Glück, ich hab' ein Stück vom Rumpf erwischt, es hat mich ver- deckt, und ich bin damit abgetrieben. Ich wollte unter keinen Um- ständen in einem französischen Gefängnis enden. Die verläßt nur selten einer lebend. Ich bin tagelang dahingetrieben - ich weiß nicht mehr wie lange. Ich konnte es nicht fassen, als ich in der Ferne plötzlich einen Punkt entdeckte. Ich dachte, es wäre eine Fata Mor- gana oder daß ich meinen Verstand verloren hätte, bis ich die Insel sah. Es war irgendwo im Mittelmeer, und ich habe fast zwei Jahre gebraucht, bis ich durch Europa wieder hierher nach England ge- kommen bin. Ich war monatelang krank, dadurch ging alles noch langsamer. Und außerdem mußte ich wegen Bonapartes Truppen untertauchen. Ich bin nur nachts gereist, damit ich seinen Soldaten nicht in die Hände fiel. Mein Französisch hat mir gute Dienste gelei- stet—ich war unserem alten Jacques, der uns ständig die Verben ein- gebläut hat, ziemlich dankbar«, sagte er lachend. »Bis ich in London ankam, hatte ich ausgezeichnete Informationen über Napoleons ge- samte Truppenbewegungen und Stellungen auf dem Kontinent. Das Ministerium war überrascht und erfreut über die Unterhaltung mit mir. Ich bin erst seit etwa drei Monaten zurück, und aufgrund
einiger wichtiger Informationen, zu denen ich Zugang hatte, bekam ich einen Auftrag, den ich erledigen soll. Ich hielt es für das beste, das erst zu Ende zu führen und dann zu dir und Mama und Vater zu kommen. Ich wußte, daß sie ein Lebenszeichen von mir nach so lan- ger Zeit n u r aufregen würde, wenn ich mich nicht persönlich zeigen konnte. Also wollte ich warten, bis ich selbst reisen kann. Die Sor- gen hätte ich mir sparen können, denn die Botschaft hätten Fremde bekommen«, schloß er verbittert.
»O Ian«, flüsterte Elysia leise.
»Wo, zum Teufel, bleiben die denn«, knurrte Ian und warf einen Blick über seine Schulter, aber da war nichts zu sehen außer Land- schaft. »Wohin ist er denn geritten, dieser - wie war noch sein Name?«
»Charles?«
»Wohin ist dieser Charles geritten?« schimpfte Ian und fluchte. »Er hätte längst aus dem Dorf zurück sein müssen.«
»Er ist nicht ins Dorf. . . « Elysia holte tief Luft. »Er ist nach We- sterley geritten.«
»Nach Westerley? Warum, zum Teufel, ist er denn dorthin? Das ist ja ein meilenweiter Umweg. Wohnst du dort?«
»Irgendwie ja.«
»Wie irgendwie? Bist du eine Gouvernante oder so etwas - nein, das kann es nicht sein. Der Marquis hat keine Kinder. Er ist ja noch nicht einmal verheiratet. Du solltest da nicht wohnen, Elysia. Er hat einen schlechten Ruf. Ich würde dich ihm nicht anvertrauen, meine Liebe. Wir müssen dir eine andere Unterkunft suchen«, bestimmte er und sah sie verwirrt an. »Wie kommt es, daß du dich dort auf- hältst? Du bist doch nicht allein dort?«
»Ian, ich fürchte, du mußt mich ihm anvertrauen. Ich bin mit dem Marquis verheiratet«, sagte Elysia ernst.
Das verschlug Ian für einen Moment die Sprache. »Verheiratet?« wiederholte er, als traue er seinen Ohren nicht. »Mein
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