Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan
nicht mehr Terrorismus, sondern Mord.
Platz, der bis vor kurzem von der NTSB beansprucht worden war, war jetzt leer, und mehrere Kabinen waren zusammengelegt worden, um eine Art Bereitschaftsraum für die Einsatztruppe zu schaffen. Anschlagtafeln, auf denen früher die Namen von Terroristengruppen und militanten Radikalen gestanden hatten, zeigten jetzt die der acht ermordeten Opfer. In einer Gruppe die eindeutig identifizierten: Edna Farrell. Albert Odell. Jeremiah Mitchell. George Adair. In einer anderen die noch Unbekannten oder noch Fraglichen: Mister X. Tucker Adams. Charlie Wayne Tramper. Mary Francis Rafferty.
Obwohl bei jedem Namen das Datum des Verschwindens stand, unterschieden sich Menge und Art der Informationen deutlich von Tafel zu Tafel.
Am anderen Ende des Raums zeigten andere Tafeln Fotos des Arthur-Hauses. Ich erkannte die Schlafkojen auf dem Dachboden, den Tisch im Esszimmer, den offenen Kamin im großen Zimmer. Gerade betrachtete ich die Fotos der Wandgemälde im Keller, als McMahon zu mir kam.
»Fröhliche Sachen.«
»Sheriff Crowe meinte, das sei eine Kopie von Goya.«
»Sie hat Recht. Es ist Saturn verschlingt seine Kinder.«
Er tippte auf ein Foto der Floßszene.
»Das da ist von Théodore Géricault. Kennen Sie ihn?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Es heißt Das Floß der Medusa.«
»Wie lautet die Geschichte dahinter?«
»Das überprüfen wir noch.«
»Wer ist der Bär?«
»Gleiche Antwort.«
Er zog eine Reißzwecke mit dem Fingernagel heraus und gab mir eine Liste.
»Kommt Ihnen jemand von der Besetzungsliste bekannt vor?«
»Die Namen an den Tunnelwänden?«
»Ja. Special Agent Rayner arbeitet daran.«
Drei Klapptische standen an der Rückwand des Raums. Auf einem stand ein Computer, auf den anderen Kartons, jeder mit einem Datum und der Herkunft seines Inhalts beschriftet: Küchenschublade L3; Wohnzimmer, Bücherregal an der Nordwand. Auf dem Boden stapelten sich noch andere Schachteln.
Ein junger Mann in Hemdsärmeln und Krawatte arbeitete am Computer. Ich hatte ihn schon im Arthur-Haus gesehen, aber wir waren uns noch nicht vorgestellt worden. McMahon deutete von dem Agenten zu mir.
»Roger Rayner, Tempe Brennan.«
Rayner sah hoch, lächelte und wandte sich dann wieder seinem Computer zu.
»Ein paar von den Offensichtlichen haben wir bereits identifiziert. Die griechischen und die römischen Götter zum Beispiel.«
Ich sah Bemerkungen hinter den Namen. Kronos. Dionysos. Die Töchter des Minos. Die Töchter des Pelias. Polyphem.
»Der Papst und der Aztekenkaiser waren gleich klar. Aber wer zum Teufel ist Dasakumaracita? Oder Abd al-Latif? Oder Hamatsa?« Er sprach die Namen Silbe um Silbe aus. »›Sawney Beane‹ oder ›John Gregg‹ kann ich wenigstens aussprechen.«
Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, und sie blieben stehen wie ein Hahnenkamm.
»Ich dachte mir, dass vielleicht ein Anthropologe irgendwelche obskuren Göttinnen oder sonst was wiedererkennt.«
Ich starrte einen Namen an, und meine Nervenzellen kribbelten. Hamatsa.
Moctezuma. Die Azteken.
Saturn, der seine Kinder verschlang.
»Können wir irgendwo ungestört reden?« Meine Stimme klang schrill und zittrig.
McMahon warf mir einen merkwürdigen Blick zu, führte mich aber in eine angrenzende Kabine.
Ich gestattete mir einen Augenblick, um meine Gedanken zu ordnen.
»Was ich jetzt sagen werde, mag lächerlich klingen, aber mir wäre es recht, wenn Sie mich bis zum Ende anhören.«
Er lehnte sich zurück und verschränkte die Finger vor dem Bauch.
»Unter den Kwakiutl des Pazifischen Nordwestens waren die Hamatsa ein Elitebund des Stammes. Junge Männer, die Hamatsa werden wollten, mussten längere Perioden der Isolation durchstehen.«
»Wie bei einem Ordensgelübde.«
»Ja. Während dieser Zeit im Wald tauchten die Initiaten hin und wieder schreiend und wie von Sinnen am Dorfrand auf, bissen Fleisch aus den Armen und der Brust der Unglücklichen, die zufällig in der Nähe waren, und verschwanden dann wieder im Wald.«
McMahon starrte seine Hände an.
»Kurz vor Beendigung dieses Exils brachte man dem Initiaten eine in Salzwasser eingeweichte, gesäuberte und aufgeschlitzte Mumie. Vom Initialen wurde nun erwartet, dass er den Leichnam für das letzte Ritual räucherte.«
Ich schluckte.
»Während des Rituals verschlangen der Anwärter und ältere Mitglieder der Bruderschaft Teile der Leiche.«
McMahon schaute mich nicht an.
»Kennen Sie sich mit den Azteken
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