Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan
Touristen am Great Smoky Mountain Railroad Depot zu. Das Wetter war freundlicher geworden, und um halb zwei am Nachmittag lag die Temperatur um die fünfundzwanzig Grad. Die Sonne schien, der Wind war kaum ein Flüstern. Spätsommer im Land der Cherokee, Indian Summer eben.
Ryan versprach, sich nach den Fortschritten bei der Opferidentifikation zu erkundigen, und ich versprach, mit ihm an diesem Abend zum Essen zu gehen. Als er davonfuhr, fühlte ich mich wie eine Hausfrau, deren Kinder in den Nachmittagsunterricht gegangen waren: viele langweilige Stunden, bis die Truppen zurückkehrten.
Ich fuhr zum High Ridge House und machte mit Boyd wieder einen Spaziergang. Auch wenn der Hund sich sehr freute, war der Ausflug doch eigentlich für mich. Ich war unruhig und nervös und brauchte körperliche Bewegung. Crowe hatte nicht angerufen, und ich konnte erst am Montag wieder ins Gerichtsgebäude. Da ich zum Leichenschauhaus keinen Zutritt mehr hatte und bei den Kollegen eine persona non grata war, waren meine Recherchen in Bezug auf den Fuß zum Stillstand gekommen.
Danach versuchte ich zu lesen, aber um halb vier hielt ich es nicht mehr aus. Ich schnappte mir Handtasche und Schlüssel und setzte mich ins Auto, um irgendwohin zu fahren.
Ich hatte Bryson City kaum verlassen, als ich ein Hinweisschild auf das Cherokee-Reservat sah.
Daniel Wahnetah war Cherokee. Hatte er zur Zeit seines Verschwindens im Reservat gelebt? Ich wusste es nicht mehr.
In fünfzehn Minuten war ich dort.
Das Volk der Cherokee hatte einst über fast dreihundertfünfzigtausend Quadratkilometer Nordamerikas geherrscht, darunter über Teile von jetzt acht Staaten. Im Gegensatz zu den Prärieindianern, die bei den Produzenten von Western so beliebt sind, lebten die Cherokee in Holzhütten, trugen eine Art Turban und übernahmen europäische Kleidungsgewohnheiten. Mit Sequoyas Alphabet wurde ihre Sprache in den 1820ern transkribierbar.
1838 wurden die Cherokee, in einem der infamsten Beispiele für Verrat in der modernen Geschichte, aus ihren Behausungen vertrieben und in einem Todesmarsch mit dem Namen Trail of Tears, Zug der Tränen, fast zweitausend Kilometer nach Westen, nach Oklahoma, deportiert. Die Überlebenden des Marsches wurden bekannt als die Western Band Cherokee, die westlichen Cherokees. Die Eastern Band Cherokee, die östlichen also, sind die Nachkommen derjenigen, die sich damals versteckten und in den Smoky Mountains blieben.
Während ich an Hinweisschildern für das Oconaluftee Indian Village, das Museum of the Cherokee Indian und für die Freiluftaufführung der Cherokee-Tragödie Unto These Hills vorbeifuhr, empfand ich meinen gewohnten Zorn über die Arroganz und die Grausamkeit eines offenkundigen Schicksals. Obwohl natürlich auch profitorientiert, waren diese zeitgenössischen Unternehmungen auch Versuche, ein kulturelles Erbe zu retten, und demonstrierten die Hartnäckigkeit eines Volkes, dem meine edlen Vorfahren, die Pioniere, so übel mitgespielt hatten.
Plakattafeln priesen Harrah’s Casino und das Cherokee Hilton an und waren zugleich ein Beweis dafür, dass Sequoyas Nachfahren seinen Hang zu kulturellen Anleihen teilten.
Ebenso das Zentrum des Ortes, wo Geschäfte für T-Shirts, Leder, Messer und Mokassins sich den Platz mit Geschenk- und Andenkenläden, Süßigkeitenshops, Eisdielen und Fast-Food-Läden streitig machten. The Indian Store. The Spotted Pony. The Tomahawk Mim-Mall. The Buck and Squaw. Tipis zierten Dächer, Totempfähle flankierten Eingänge. Eingeborenenkitsch der Extraklasse.
Nach erfolgloser Suche entlang des Highway 19 fand ich schließlich einen kleinen Parkplatz an einer Nebenstraße, einige Blocks vom Zentrum entfernt. Eine Stunde lang mischte ich mich unter die Touristenhorden, die Bürgersteige und Geschäfte bevölkerten. Ich bewunderte echte Cherokee-Aschenbecher, -Schlüsselanhänger, -Rückenkratzer und -Gongs. Ich inspizierte authentische Holztomahawks, Keramikbüffel, Acryldecken und Plastikpfeile und staunte über das beständige Bimmeln der Kassen. Hatte es in North Carolina überhaupt je Büffel gegeben?
Na, wer spielt da jetzt wem übel mit?, dachte ich, als ich einen Jungen sah, der sieben Dollar für einen Kopfschmuck aus Neonfedern zahlte.
Trotz des allgegenwärtigen Kommerzes genoss ich diese Flucht aus meiner normalen Welt: Frauen mit Bissspuren an den Brüsten. Kleine Mädchen mit vaginalen Abschürfungen. Penner mit dem Bauch voller Frostschutzmittel. Ein abgetrennter
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