Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan
Institutsexemplar meines Buchs zur Hand?«
»86 oder 98?«
Ich war Herausgeberin eines Buchs über forensische Techniken, das zu einem Standardwerk in diesem Bereich geworden war, vorwiegend wegen der exzellenten Arbeiten der Autoren, die ich dafür hatte verpflichten können. Es enthielt allerdings auch einige Kapitel von mir selbst. Nach acht Jahren war eine zweite, stark überarbeitete Ausgabe herausgekommen.
»Das erste.«
»Moment.«
Sekunden später war sie wieder da.
»Was brauchen Sie?«
»Es gibt ein Kapitel über Populationsunterschiede im Fersenbein. Schlagen Sie das mal auf.«
»Habs.«
»Wie hoch ist der Prozentsatz korrekter Klassifikation beim Vergleich von mongoliden, schwarzen und weißen Fußknochen?«
Eine längere Pause entstand. Ich stellte mir vor, wie sie mit gerunzelter Stirn, die Brille weit vorn auf der Nase, den Text überflog.
»Knapp unter achtzig Prozent.«
»Nicht so toll.«
»Aber warten Sie mal.« Noch eine Pause. »Das kommt daher, weil Schwarze und Weiße sich nicht so gut unterscheiden lassen.
Die Mongoliden konnten mit einer Präzision von dreiundachtzig bis neunundneunzig Prozent abgegrenzt werden. Das ist nicht so schlecht.«
»Okay. Geben Sie mir die Maßeliste durch.«
Mir wurde flau im Magen, als ich sie mir notierte.
»Können Sie jetzt nachschauen, ob es eine Tabelle gibt mit den unstandardisierten, kanonischen Unterscheidungs-Funktionskoeffizienten für Indianer, Schwarze und Weiße?« Ich brauchte diese Zahlen für den Vergleich mit Koeffizienten, die ich von dem unbekannten Fuß ableiten würde.
Pause.
»Tabelle vier.«
»Können Sie mir den Artikel faxen?«
»Sicher.«
Ich gab ihr Primrose Hobbs’ Namen und die Faxnummer des Operations-Leichenschauhauses in Bryson City. Dann legte ich auf und suchte mir meine Notizen zu Fall Nummer 387 zusammen.
Als ich eine weitere Nummer wählte und nach Primrose Hobbs fragte, sagte mir eine Stimme, dass sie nicht hier sei, fragte mich aber auch, ob ich ihre Nummer im Riverbank Inn wolle.
Auch Primrose nahm nach dem ersten Läuten ab. Das war wirklich mein Glückstag.
»He, Süße, wie geht’s denn?«
»Gut, Primrose.«
»Lassen Sie sich von diesen Verleumdungen nicht unterkriegen. Gott tut, was er tun will, und er weiß, dass das alles Quatsch ist.«
»Lass ich mich auch nicht.«
»Eines Tages setzen wir uns zusammen, spielen ein paar Runden Karten und lachen über die ganze Geschichte.«
»Ich weiß.«
»Wobei ich allerdings sagen muss, Tempe Brennan, für eine so gescheite Frau sind Sie die beschissenste Kartenspielerin, mit der ich je an einem Tisch gesessen habe.« Sie lachte ihr tiefes, kehliges Lachen.
»Ja, ich kann das wirklich nicht sehr gut.«
»Da haben Sie Recht.«
Noch einmal das Lachen.
»Primrose, darf ich Sie um einen Gefallen bitten?«
»Was immer Sie wollen, Süße.«
Ich erzählte ihr eine knappe Version der Geschichte mit dem Fuß, und Primrose versprach, am frühen Sonntagvormittag ins Leichenschauhaus zu gehen. Sie würde das Fax lesen, mich anrufen, und ich würde sie dann anleiten, die fehlenden Maße des Fußes zu nehmen. Sie machte noch eine Bemerkung über die Vorwürfe gegen mich und schlug gewisse anatomische Stellen vor, in die Larke Tyrell sie sich stecken könne.
Ich dankte ihr für ihre Loyalität und legte auf.
Ryans Wahl fürs Abendessen war Injun Joe’s Chili Joint. Meine Wahl war das Misty Mountain Café, welches Feinschmeckerküche mit einem großartigen Ausblick auf den Balsam Mountain und das Maggie Valley vereinte. Als eine sachliche Diskussion das Patt nicht auflösen konnte, warfen wir eine Münze.
Das Misty Mountain sah eher aus wie eine Skihütte denn wie ein Café, ein Blockhaus mit hohen Decken, offenen Kaminen und viel Glas. Bei unserer Ankunft erfuhren wir, dass erst in neunzig Minuten ein Tisch zur Verfügung stehe, uns aber auf der Terrasse sofort Wein serviert werden könne.
Bei Joe bekamen wir sofort einen Platz. Ich verliere, sogar wenn ich gewinne.
Schon ein Blick sagte mir, dass le joint eine andere Klientel bewirtete als le café. Ein halbes Dutzend Fernseher zeigten ein College-Football-Spiel, und Männer in Schirmkappen standen an der Bar. Paare und Gruppen saßen an Tischen und in Nischen, alle in Jeans und Stiefeln, und die meisten sahen aus, als hätten eine Rasur oder ein Haarschnitt in ihrer jüngeren Vergangenheit keine Rolle gespielt. Neben den Einheimischen sah ich auch Touristen in grellfarbenen Windjacken und ein paar
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