Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan
Chow-Chow war aufgekratzt, er beschnupperte und taufte jede Pflanze und jeden Stein am Weg. Ich genoss die Strecke hügelabwärts und den Anblick der Berge, die sich im Weichzeichnerdunst zum Horizont hin wellten wie auf einem Gemälde von Monet. Die Luft war kühl und feucht, es roch nach Kiefern und Lehm und Spuren von Rauch. In den Bäumen zwitscherten die Vögel, die sich für die Nacht vorbereiteten.
Der Lauf hügelaufwärts war eine andere Geschichte. Boyd, noch immer voller Elan, zerrte an der Leine wie Wolfsblut bei seinen Schlittenfahrten durch Alaska. Als wir sein Gehege erreicht hatten, war mein Arm abgestorben, und meine Waden brannten.
Ich schloss eben das Gatter, als ich Ryans Stimme hörte.
»Wer ist dein wuscheliger Freund hier?«
»Boyd. Und er ist sehr gefährlich.« Ich war noch immer außer Atem, und die Wörter kamen ziemlich abgehackt.
»Trainierst du Extremwandern mit Hund?«
»Schlaf gut, Junge«, sagte ich zu dem Hund.
Boyd interessierte sich nur für kleine braune Dinger, die aussahen wie versteinertes Dörrfleisch.
»Du redest mit Hunden, aber nicht mit deinem alten Partner?«
Ich drehte mich um und schaute ihn an.
»Na, wie geht’s, Kleiner?«
»Komm bloß nicht auf den Gedanken, mich hinter den Ohren zur kraulen. Mir geht’s gut. Und selbst?«
»Großartig. Wir waren nie Partner.«
»Wie läuft’s mit deiner Altersbestimmung?«
»Ich hatte Recht.«
Ich kontrollierte das Schloss und drehte mich dann wieder zu ihm um.
»Sheriff Crowe hat drei ältere Vermisste. Was Neues über das Hexenhäuschen?«
»Gar nichts. Kein Mensch weiß, dass das Haus überhaupt existiert. Wenn das irgendjemand benutzt, dann muss er sich rein und raus beamen. Entweder das, oder die Leute reden nicht darüber.«
»Ich sehe mir die Steuerlisten an, sobald das Gerichtsgebäude morgen früh aufmacht. Crowe recherchiert weiter wegen der Vermissten.«
»Morgen ist Samstag.«
»Verdammt.« Ich vermied es, mir auf die Stirn zu schlagen.
Meine Suspendierung durch Larke hatte mich so sehr beschäftigt, dass ich die Wochentage vergessen hatte. Öffentliche Gebäude sind an Wochenenden geschlossen.
»Verdammt«, sagte ich noch einmal und wandte mich dann dem Haus zu. Ryan ging neben mir her.
»Wir hatten heute eine interessante Besprechung.«
»Und?«
»Die NTSB hat vorläufige Schadensdiagramme erstellt. Komm morgen in die Zentrale, und ich hole sie dir auf den Bildschirm.«
»Wird meine Anwesenheit dir keine Probleme bereiten?«
»Stimmt. Eigentlich muss ich verrückt sein.«
Die Ermittlung belegte inzwischen einen großen Teil der Umgebung von Bryson City mit Beschlag. Oben am Big Laurel wurde weiter im Kommandozentrum der NTSB und der provisorischen Leichenlagerstelle gearbeitet. Die Opferidentifikation im Leichenschauhaus im Alarka Fire Department machte Fortschritte, und im Sleep Inn am Veterans’ Boulevard war ein weiteres Unterstützungszentrum für Angehörige eingerichtet worden.
Zusätzlich hatten die Bundesbehörden Räumlichkeiten im Bryson City Fire Department angemietet und dem FBI, der NTSB, dem ATF und anderen Organisationen zur Verfügung gestellt. Um zehn am nächsten Vormittag saßen Ryan und ich in einer der winzigen Kabinen, die sich im Obergeschoss aneinander reihten wie Bienenwaben. Zwischen uns saßen Jeff Lowery von der NTSB-Gruppe für Dokumentation des Kabineninneren und Susan Katzenberg von der Strukturengruppe.
Während Katzenberg das vorläufige Boden-Trümmer-Diagramm ihrer Gruppe erklärte, hielt ich Ausschau nach Larke Tyrell. Obwohl ich mich bei den Bundesbehörden befand und so Larkes Verbot eigentlich nicht verletzte, wollte ich keine Konfrontation.
»Hier ist das Trümmerdreieck. Die Spitze ist die Aufprallstelle, die Trümmerstrecke erstreckt sich entlang der Flugbahn fast sechseinhalb Kilometer nach hinten. Das entspricht einem parabolischen Abstieg aus vierundzwanzigtausend Metern, angefangen bei ungefähr sechseinhalb Kilometern pro Minute Steigflug bis hin zu einem Absturz vertikal nach unten.«
»Ich habe Leichen bearbeitet, die in fast zwei Kilometern Entfernung vom Haupttrümmerfeld geborgen wurden«, sagte ich.
»Die Druckhülle zerbrach mitten in der Luft, sodass Körper während des Fluges herausflogen.«
»Wo waren die Flugschreiber?«, fragte ich.
»Sie wurden, zusammen mit Teilen des hinteren Rumpfs, etwa auf der Hälfte der Trümmerstrecke gefunden.« Sie deutete auf den Bildschirm. »In der F-100 sitzen die Schreiber im drucklosen
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