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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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hatten sie dergleichen gesehen. Sie näherten sich Madoc voll Scheu, als sei er ein wildes Tier, das nur darauf lauerte, sie anzuspringen. Später, als sich das Windvolk schon ein wenig an seine Anwesenheit gewöhnt hatte, wollten ihn einige von ihnen plötzlich zum Gott ausrufen. Aber da wurde er zornig und fuhr wie mit Blitz und Donner dazwischen – was allein sie darin bestärkte, in ihm den wahren Gott der Stürme zu sehen. Doch Madoc ließ es nicht zu, mehr als einer der ihren zu gelten.
    »Haltet euren eigenen Windgöttern die Treue!« befahl er. »Ihr habt ihnen gut gedient, und sie haben es euch mit ihrer Gunst vergolten. Auch ich will den Göttern dieses Ortes gehorchen, denn nur ihrer Gnade verdanke ich mein Leben.«
    Allmählich behandelten ihn die Leute vom Windvolk wie ihresgleichen und achteten nicht mehr darauf, daß er anders aussah als sie. Und der Uralte sagte: »Man widersteht nur schwer der Verlockung, angebetet zu werden.«
    »Erst kommt die Anbetung, dann kommen Eifersucht, Mißgunst und Haß. Ich will ebensowenig angebetet werden, wie ich König sein wollte. Nicht die Menschen, nur die Götter sollen wir preisen.«
    »Du bist über deine Jahre weise, mein Sohn«, sagte Reschal.
    »Mein Vater wollte nicht als Gott verehrt werden; doch einige seiner Söhne strebten danach. So bin ich zu euch gekommen.«
    Draußen am See verstummten die Trommeln.
    Der Uralte verfolgte Madocs und Zylls Tanz mit unbewegtem Gesicht. Als sie die letzten Schritte getan hatten, ergriff er feierlich ihre Hände, fügte sie ineinander und legte zum Segen seine eigenen Hände auf ihre Köpfe.
    Und währenddessen schlugen erneut die Trommeln an, laut und nahe, laut und unheilverkündend.
    Ein Raunen ging durch die Menge des Windvolks, als die drei Einbäume auf dem Wasser auftauchten und sich rasch näherten. Jedes der Boote wurde von vielen Ruderern angetrieben, und im größten, dem in der Mitte, stand hochaufgerichtet ein kräftiger, hellhäutiger, blauäugiger Mann.
    Mit einem Freudenschrei sprang Madoc vom Felsen und rannte ans Ufer.
    »Gwydyr!«

Ich rufe das Feuer in lodernder Helle
    M eg lag mit geschlossenen Augen in der Dachkammer auf dem Bett. Immer noch streichelte sie Ananda und spürte das warme Prickeln, das vom Fell der Hündin ausging. Wie im Traum bewegten sich Megs Augäpfel hinter den Lidern.
    Das Kätzchen kam auf die Beine, machte einen hohen, steifen Buckel, gähnte, rollte sich am Fußende des Bettes zusammen und begann zu schnurren.
    Charles Wallace, tief in Madocs innerstem Wesen, fühlte die ungeheure Freude, die den Jüngling erfüllte, als er den Bruder lebend vor sich sah, den er schon totgeglaubt hatte, im Wald verschollen und begraben.
    Der Mann im Einbaum sprang ins Wasser und watete ans Ufer.
    »Gwydyr! Du lebst!« Madoc erwartete seinen Bruder mit ausgebreiteten Armen.
    Gwydyr fiel ihm nicht um den Hals. Seine blauen Augen waren kalt und hart unter gerunzelter Stirn. Erst jetzt erkannte Madoc, daß sein Bruder eine kleine Krone trug; doch war sie nicht aus Blumen geflochten; sie war aus Gold.
    »Gwydyr, mein Bruder!« Allmählich erstarb das freudige Lächeln auf Madocs Lippen. »Ich dachte, du seist tot.«
    Gwydyrs Stimme war kalt und hart wie seine Augen. »Ich wollte, daß du das denken solltest.«
    »Aber warum? Warum?«
    Schmerz klang aus Madocs Stimme. Zyll glitt leichtfüßig vom Felsen und trat an seine Seite.
    »Hast du denn nicht schon in Gwynedd gelernt, daß nur einer von uns König sein kann?«
    Madocs Augen waren auf Gwydyrs goldene Krone gerichtet. »Aus diesem Grund haben wir Gwynedd verlassen, um anderswo in Frieden zu leben.«
    Ohne sich umzudrehen, gab Gwydyr den Männern in den Booten ein Zeichen. Die Trommeln schlugen an, langsam, bedrohlich. Die Ruder wurden eingezogen; die Ruderer sprangen ins seichte Wasser und schoben die Einbäume ans Ufer.
    Gwydyrs Mundwinkel zuckten; sein Lächeln glich eher einer Grimasse. »Ich bin gekommen, die Tochter des Uralten zu fordern.«
    Schmerzhaft dröhnten die Trommeln in Madocs Ohren. »Mein Bruder! Ich habe deinen Tod beweint. Ich war überglücklich, als ich dich so unerwartet wiedersah.«
    Gwydyr erwiderte mit bemühter Geduld, als spräche er zu einem verständnislosen Kind: »Auch hier ist nur für einen König Platz, mein kleiner Bruder; und wer sonst sollte König sein als ich, der Ältere? Ja, in Gwynedd stand ich ohne Hoffnung fünf noch Älteren und dir gegenüber – aber hier bin ich König und Gott; und ich bin

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