Durch Zeit und Raum
Wellengekräusel verzerrt, Gwydyrs Gesicht – es glich dem von Madoc fast aufs Haar und war doch anders. Die Augen ebenso blau, aber ohne die goldene Wärme; und sie standen eine Spur zu eng über der Nase, deren roher Schwung lustvolle Grausamkeit verriet. Das, dachte Madoc, konnte unmöglich der Bruder sein, der mit ihm in die Neue Welt gekommen war! Oder doch? Hatte er sich seinen Gwydyr bisher nur als Wunschtraum ausgemalt und mußte ihn nun endlich in seiner wahren Gestalt erkennen?
Kleine Wellen irrten über das Wasser; das Spiegelbild zerrann – wie die Vision im Kristall des Wahrsagers in Gwynedd.
Madoc war immer vor der Kristallkugel zurückgeschreckt; nicht weniger fürchtete er jetzt die winzige Wasserlache, aus der ihm Gwydyrs Ebenbild entgegentrat, dabei größer und immer größer wurde, dunkler und immer dunkler. Zugleich verzerrten sich die Züge – und verwandelten sich auf einmal in das Gesicht eines weinenden Säuglings. Es wich zurück, noch weiter, bis Madoc auch die schwarzhaarige Frau sehen konnte, die das Kind in den Armen wiegte. »Du wirst einst groß werden, kleiner Madog«, sagte sie. »Und die ganze Welt wird dir gehören. Du wirst entscheiden, ob sie bestehen oder vergehen soll. Aber die Welt ist böse und schlecht, mein kleiner Madog.« Der Säugling starrte sie an, und seine Augen standen so eng beisammen, wie die von Gwydyr; und sie waren wie Gwydyrs Augen nach innen gekehrt; und auch seine Mundwinkel hingen nach Gwydyrs Art verächtlich herab.
Wieder wuchs das Gesicht über den Rand der Pfütze hinaus und machte einem anderen Platz: dem eines hochmütigen und zornigen Mannes. »Also gut, Mutter«, sagte er, »wenn die Welt böse und schlecht ist, werden wir sie eben vernichten!« Und das Wasser kräuselte sich und ließ das Gesicht zu einer Kugel verschwimmen, zu einer Kugel, die an den Polen ein wenig abgeplattet war und grüne und braune Flecken zeigte – das Land —, dazu blaue und graue Flecke – das Meer – und darüber einen wolkenverhangenen, sanftdunklen Himmel; und aus diesem Himmel fielen seltsame kleine Gegenstände; und sie fielen auf das Land und in das Wasser; und wo sie hinfielen, wuchsen große, pilzförmige Wolken auf; und bald wuchsen sie über alle Länder und Meere; und unter den Wolkenpilzen raste in wilden Stürmen das Feuer…
Gwydyrs Stimme ließ das Bild zerklirren. »Ich habe mein Feuer gewählt, kleiner Bruder. Wo ist das deine?«
Die Flammenhölle verschwand; zurück blieb nur eine Pfütze, eine ganz gewöhnliche Wasserlache, in der sich die einsame Wolke spiegelte, durch die die Sonne ging.
Die Zeit nahm wieder ihren Lauf. Zylls Schrei verklang; Madoc half Reschal auf die Beine, trat dabei in die Pfütze und ließ ihr Wasser in den Sand spritzen. »Zurück, Uralter!« sagte er. »Ich zerbreche den Kristall.« Und abermals stampfte er in die Lache, und der letzte Wasserrest versickerte im Boden. Das Spiegelbild war ausgelöscht.
Vom mittleren Einbaum brachte einer der Krieger einen mit glühenden Kohlen gefüllten kleinen Kessel, aus dem Rauchwölkchen aufstiegen. Gwydyr langte nach einem Speer und stieß dessen Spitze in die Glut. »Hier ist mein Feuer, Madoc!« sagte er und lachte höhnisch. »Deines mußt du selbst machen.«
Madoc wandte sich dem Felsen zu, unter dem die Blumenkränze der jungen Männer lagen. Er nahm einen Armvoll und häufte sie über der kleinen Grube auf, in der eben noch das Wasser gestanden hatte. Dann hob er die Blütenkrone von seinem Kopf und warf sie zu den Kränzen. Wie auf ein Zeichen löste auch Zyll ihren Blumenschmuck aus dem Haar und opferte ihn, und einer nach dem anderen, Alte wie Junge, folgten die Männer, Frauen und Kinder des Windvolks ihrem Beispiel, zuletzt sogar Reschal.
»Was treibst du da? Was soll das bedeuten?« schrie Gwydyr, umtänzelte Madoc und stieß kampfeslustig mit dem flammenden Speer nach ihm.
Madoc sprang zur Seite. »So warte doch, Gwydyr. Du selbst hast das Feuer gewählt. Nun laß meines das deine bekämpfen.«
»Du, du ganz allein, mußt das Feuer entfachen. So habe ich es bestimmt.«
»Du hast schon immer gern bestimmt, wie etwas zu geschehen hat, Bruder Gwydyr!« erwiderte Madoc leise.
»Ich bin der König! Hörst du? Ich bin der König!« Gwydyrs Stimme wurde laut und schrill.
Madoc bewegte sich wie durch einen Traum. Mühelos wischte er die Drohungen seines Bruders zur Seite und richtete das blaue Feuer seiner Augen auf den großen Scheiterhaufen aus Blumenkränzen.
Weitere Kostenlose Bücher