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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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mache mich auf die Suche nach dem Land hinter dem Meer, von dem unsere Weisen berichten. Doch Gwydyr hatte zunächst Bedenken, sich mir anzuschließen.«
    »Er hoffte, selbst König zu werden?«
    »Ja, aber Gwydyr und ich waren die Jüngsten. Wir hatten kaum Aussicht auf den Thron, solange unsere fünf älteren Brüder lebten.«
    »Und doch standest du, Madoc, der siebente Sohn, in der Gunst deines Volkes am höchsten.«
    »Hätte ich zugelassen, daß es mich zum König ausruft, wäre ein Blutbad nicht zu vermeiden gewesen. Das aber wollte ich auf keinen Fall. Also verließ ich Gwynedd, um die Schrecken des Brudermordes abzuwenden.«
    Der Uralte musterte Madoc mit zweifelnder Neugierde. »Hast du Gwynedd wirklich verlassen?«
    »Ja. Gwynedd in Cymru liegt hinter mir. Möge es regieren, wen die Götter erwählten. Ich will es gar nicht wissen. Denn ich bin jetzt Madoc, der künftige Sohn des Reschal, der künftige Gatte der Zyll aus dem Windvolk.«
    »Und Gwydyr? Ließest du ihn ziehen?«
    Madoc schaute über den See. »Obwohl sieben Jahre zwischen uns lagen, war ich in mancher Hinsicht der ältere von uns beiden. Als wir auf den Stamm vom Anderen Ende des Sees stießen, erschrak er vor den dunklen Gesichtern, den schwarzen Haaren und dem ungewohnten Gesang, diesem Heulen und Schreien, und rannte davon. Mich nahm man als Gast auf, und doch war ich zugleich ein Gefangener, denn ich durfte nicht in den Wald gehen und nach meinem Bruder suchen. Der Stamm ließ selbst seine Krieger ausschwärmen, und als sie zurückkehrten, brachten sie nichts mit als Gwydyrs Gürtel mit der juwelengeschmückten Schnalle, die ihn als Sohn eines Königs auswies. Die Männer sagten, eine Schlange hätte Gwydyr getötet. In Gwynedd gibt es keine Schlangen; wie hätte er sich vor dem Unbekannten vorsehen sollen? Die Männer sagten, er sei mit meinem Namen auf den Lippen gestorben, und er habe mir das Lied des Königssohns hinterlassen. Die Männer sagten, sie hätten Gwydyr im Wald begraben. Ohne mein Beisein begruben sie ihn, und ich kenne nicht einmal die Stelle.«
    »So ist die Art des Volkes vom Anderen Ende des Sees«, sagte der Uralte. »Sie fürchten die Toten und versuchen dem Fluch des Anbeginns zu entkommen.«
    »Dem Fluch des Anbeginns?«
    Reschal schaute hinauf in den friedlichen Morgenhimmel. »Als das Böse erstmals geschah. Zuvor hatte es keine bösen Geister gegeben, die unsere Ernte vernichteten, die Flut oder Dürre über das Land brachten. Zuvor hatten wir nichts zu fürchten, nicht einmal den Tod.«
    »Und wie kam der Fluch über euch?«
    »Wer könnte das sagen? Es ist schon so lange her. Aber kanntet ihr die Furcht nicht auch in Gwynedd?«
    »Doch«, erwiderte Madoc ernst. »Doch. Wir kennen sie. Wie sonst hätte sich der Bruder gegen den Bruder gewendet? Ja, auch wir kennen, was ihr den Fluch des Anbeginns nennt. Und mit ihm kam der Tod – oder doch die Angst vor dem Tod. Ach, Reschal, wüßte ich doch, wo jene vom Anderen Ende des Sees meinen Bruder begruben! Dann könnte ich ihm die Gebete sprechen und seine Seele befreien.«
    »Es ist ihre Art, sich die Toten vom Leib zu halten und ihre Gräber zu vergessen. Sie verstecken die Toten sogar vor ihren eigenen Seelen, damit die Geister der Verstorbenen nicht an den See kommen können, um die Fische zu verjagen.«
    »Und dein Volk?«
    Stolz richtete sich der Uralte auf. »Wir fürchten uns nicht vor den Geistern derer, die von uns gingen! Wo im Leben die Liebe gebietet, gebietet sie auch im Tod. Scheidet einer der unseren hin, feiern wir ein Fest zu seiner Ehre, und dann schicken wir seine Seele auf die Reise zwischen den Sternen. In klaren Nächten fühlen wir ihren Gesang, den Gesang der Liebe. Fühltest du ihn nicht auch – heute nacht?«
    »Ich habe zu den Sternen geschaut – und ich fühlte, daß sie mich – daß sie mich nicht abwiesen.«
    »Und dein Bruder? Hast du auch sein Licht gefühlt?«
    Madoc schüttelte den Kopf. »Ja, wenn ich wüßte, an welchem Ort er begraben liegt…«
    »Du mußt ihn ziehen lassen. Um Zylls willen mußt du ihn ziehen lassen.«
    » Wann nur, wann kommt sie, des Uralten Kind? « drängte Madoc. »Ich verließ das Volk vom Anderen Ende des Sees, um das Grab meines Bruders zu finden. Aber bald hatte ich mich im Wald verlaufen. Tag um Tag irrte ich umher, wollte zurück ans Ufer und entfernte mich doch immer weiter von ihm. Ich war dem Sterben nahe, als Zyll mich fand. Sie war auf der Suche nach den heilenden Kräutern, die nur in den

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