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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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hatte, fuhr ich in meiner Einleitung fort. Ich hatte sie mir zuvor zurechtgelegt und einige Fragen notiert. Ich hatte keine Ahnung, wie glaubwürdig ich wirken würde. Aber Mehmet Taliqi gab bereitwillig Auskunft, beantwortete die Fragen nach seiner Herkunft, Nationalität, Konfession, Beruf und Familie, seinem Aufenthaltsstatus und dem Jahr seiner Einreise. Ausser des siebzehnjährigen Fadils hatte er noch eine dreizehnjährige Tochter, die ebenfalls die Kantonsschule besuchte. Ich machte gewissenhaft Notizen.
    Einzelne Fragen beantwortete Taliqi gleich selbst in gebrochenem Deutsch. Er sagte, in seinem Beruf müsse er praktisch kein Deutsch sprechen. Deshalb lasse er lieber seinen Sohn übersetzen, der in der Schweiz aufgewachsen war. Ich stellte einige weitere Fragen und lenkte dann das Gespräch unauffällig auf Slavkovi ć s Reisebüro.
    «Ist sein Geschäft eine grosse Konkurrenz für Sie?»
    Während Fadil übersetzte, huschte ein Anflug von Unmut über Taliqis Gesicht. Er sprach ziemlich lang.
    «Er sagt, ihr Kundensegment unterscheide sich deutlich. Zu ihm kommen vor allem Kosovo-Albaner, Bosnier und Kroaten, während die Serben eher zu Slavkovi ć s Stammkundschaft gehörten. Zudem nehme er nur Geldüberweisungen von Leuten vor, bei denen er sicher sei, dass sie sauber sind.»
    «Wollen Sie damit andeuten, Slavkovi ć habe Gelder aus dubiosen Quellen entgegengenommen?»
    Taliqi lächelte vornehm. Das sei doch ein offenes Geheimnis. Wie liesse sich sonst erklären, dass er in so kurzer Zeit ein Vermögen erworben habe.
    Ich machte eine Pause und sagte dann vorsichtig: «Können Sie sich vorstellen, dass gewisse Kreise Ihnen ein Interesse an seinem Tod anlasten möchten?»
    Fadil wirkte verunsichert, als er meine Frage hörte. Er übersetzte, leicht stotternd. Taliqi blieb gelassen. Er habe ein reines Gewissen. Wer immer dieses Gerücht in die Welt setze, müsse das vor sich und Gott selbst verantworten. Dann wollte er wissen, weshalb mich der Mordfall Slavkovi ć interessierte.
    «Aus reiner Neugierde. Im Moment wird über nichts anderes gesprochen.»
    Ich hatte zuvor im Büchergestell vergeblich nach einem Buch von Andri ć Ausschau gehalten.
    «Sie lesen viel … Kennen Sie die Werke von Ivo Andri ć ?»
    Während Fadil übersetzte, beobachtete ich genau, ob Taliqi eine auffällige Reaktion zeigte. Er lächelte. Natürlich, das habe in der Schule zur Pflichtlektüre gehört. Seither habe er aber nie mehr was von ihm gelesen. Vielleicht werde er das nachholen, jetzt, da ich ihn daran erinnere.
    Ich bedankte mich bei Mehmet Taliqi. Seinem Sohn drückte ich eine Zwanzigernote in die Hand, für seinen Dienst als Dolmetscher. Als ich wieder auf die Strasse trat, war ich mir sicher, dass Mehmet Taliqi mit dem Mord an Slavkovi ć nichts zu tun hatte.
    Silvan schuldete mir Geld. Nicht wirklich viel, ungefähr zweihundert Franken. Aber ich wusste, ich bekäme es vermutlich nie mehr zurück. Dafür war er mir einen Gefallen schuldig.
    Ich konnte ihn unter seiner alten Nummer nicht erreichen. Also rief ich seine Mutter an.
    «Sie wissen doch, dass wir den Kontakt zu Silvan abgebrochen haben», sagte sie vorwurfsvoll.
    «Ach kommen Sie, Sie können mir bestimmt sagen, wo ich ihn finden kann.»
    Silvans Vater gehörte zum oberen Kader einer international tätigen Versicherungsgesellschaft und bekleidete nebenbei einige lukrative Verwaltungsratsmandate. Zudem sass er für die Freisinnigen im Einwohnerrat. Nach der dritten abgebrochenen Entziehungskur untersagte er seiner Frau jeden Kontakt zu Silvan. Er überwies ihm monatlich eine beträchtliche Summe Geld, die ihm zur freien Verfügung stand. Die finanzielle Zuwendung war einzig an die Bedingung geknüpft, dass sich Silvan dem Haus seiner Eltern und bestmöglich dem weiteren Umfeld fernhielt.
    Aber Silvan war nie ganz von Emmenbrücke losgekommen.
    Ich hatte Silvan an der Kantonsschule kennengelernt und mich mit ihm angefreundet. Was so viel hiess wie, dass wir denselben Schulweg hatten, in denselben Kifferkreisen verkehrten und uns für dieselben Mädchen interessierten. Ich war auch gelegentlich bei ihm zu Hause gewesen und hatte mit seiner Mutter Bekanntschaft gemacht.
    «Ich sollte es ja eigentlich sein lassen …»
    «Keine richtige Mutter könnte das.»
    «Vermutlich haben Sie Recht.»
    Ich hatte sie bald so weit.
    «Aber mein Mann darf davon nichts erfahren!»
    «Selbstverständlich. Ich will mich nur wieder mal erkundigen, wies ihm geht – ob ich ihm

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