Durst - Roman
Vorstandspräsidenten des Vereins «Christen gegen den Asylmissbrauch» ausgegeben und Ineichen eine Ehrenmitgliedschaft in Aussicht gestellt. Ich vergass nicht, die Mitgliedschaft zahlreicher Emmener Stimmbürger zu betonen und die grosse Freude, die er uns mit der Annahme des Ehrentitels bereiten würde. In einem persönlichen Gespräch könne ich ihm mehr über die neu gegründete Bürgerbewegung und ihre Absichten erzählen. Der Mann hatte Interesse gezeigt und mich zu sich nach Hause eingeladen.
Ineichen sass für die Christdemokraten im Einwohnerrat, war Kantonspolizist und kürzlich zum Lokalhelden aufgestiegen. Im Zuge seiner patriotischen Umtriebe war er selbst vor einem Verstoss gegen das Amtsgeheimnis nicht zurückgeschreckt, indem er der Einbürgerungskommission eine polizeiliche Aktennotiz zuspielte. Dieser Aktennotiz war zu entnehmen, dass ein einbürgerungswilliger Kosovare während mehrerer Wochen von der Fremdenpolizei observiert worden war – seine Nachbarn hatten ihn des Drogen- und Waffenschmuggels bezichtigt. Die Bespitzelung hatte jedoch keine Hinweise auf kriminelle Machenschaften hervorgebracht. Trotzdem wurde dem Kosovaren und seiner Familie in einer geheimen Abstimmung das Bürgerrecht verwehrt.
Ineichen wohnte in einem gediegen umgebauten Bauernhaus etwas ausserhalb des Dorfes. Ich lehnte mein Velo gegen einen Baum und ging zu Fuss auf das Haus zu.
Ein gut aussehender Mann Mitte vierzig öffnete und bat mich mit gewinnendem Lächeln herein. Inneichen hatte gewelltes, graumeliertes Haar, trug Jeans und ein rot-weiss kariertes Holzfällerhemd. Er führte mich in die geräumige Küche und lud mich ein, auf der Eckbank Platz zu nehmen.
Der Raum wirkte, als hätte er für einen Möbelkatalog Modell gestanden. Stil: gehobene Bauernküche. Die Wände frisch getäfert, Einbauschränke, Tisch, Eckbank und Stühle aus hellem Holz. Nur der weisse Kunststeinboden wollte nicht so recht zum Bauernidyll passen. Die Wände waren schmucklos bis auf das Kreuz mit leidendem Heiland und einen Trachtenkalender. Ineichen tischte mir Kafi Schnaps auf und setzte sich mir gegenüber.
«Ich muss ehrlich sagen, ich hab Sie mir älter vorgestellt …»
«Sie werden staunen: Ein Drittel unserer Mitglieder ist jünger als dreissig …», sagte ich und fügte lächelnd hinzu: «Heimatliebe ist eben keine vorübergehende Modeerscheinung.»
«Da haben Sie recht. Gerade in schwierigen Zeiten wie diesen, wo unsere Jugend durch Einflüsse aus aller Welt bedrängt wird, kann die Liebe zur Heimat Orientierung bieten.»
Wir plauderten ein wenig über die Schweiz und ihre aufrechten Bürger, über unsere typischen Eigenschaften wie Fleiss und Rechtschaffenheit und die Vorzüge der direkten Demokratie. Ich geriet – nicht zuletzt wegen der Unberechenbarkeit des gesüssten Getränks – in Fahrt und verstieg mich zu der Aussage, die Neutralität der Schweiz und ihre militärische Beschränkung auf Selbstverteidigung gereiche uns zum Segen und der Welt zum Nachteil.
«Wie meinen Sie das?»
«Ich will damit sagen, dass es für die Welt ein Glück wäre, wenn wir Macht und Mittel hätten, sie uns gleich zu machen.»
Ich fürchtete, die Ironie auf die Spitze getrieben zu haben, aber Ineichen meinte nach kürzerem Nachdenken – was sich in seinem hübschen Männergesicht durch Zusammenziehen der Augenbrauen bemerkbar machte –: «Da haben Sie recht.»
Ich lenkte das Gespräch auf die «Ausländerproblematik» und betonte, wie sehr seine Aktion in der Bevölkerung für Erleichterung gesorgt habe.
«Endlich mal einer, der sich getraut, etwas gegen den Missbrauch unserer Gastfreundschaft zu unternehmen!»
Er lächelte nachsichtig: «Wissen Sie, persönlich hab ich ja nichts gegen diese armen Tröpfe … Aber meine Wähler erwarten von mir, dass ich mich ihrer Sorgen und Ängste annehme und nicht davor zurückschrecke, den Finger auf den wunden Punkt zu legen. Ich hoffe, mit dieser Aktion, die für mich nicht ohne Opfer war, einen wichtigen Beitrag geleistet zu haben.»
Damit sprach er die Busse an, die er wegen der Amtsgeheimnisverletzung erhalten hatte.
«Und ob Ihnen das gelungen ist. Genau das ist ja auch der Anlass meines Besuches …»
Ich begann ihm ein wenig von unserem Verein zu erzählen, den Anfängen und dem raschen Zuwachs an Mitgliedern – «… viele der cvp nahe Wähler, aber auch solche, die sich mehr und mehr der svp zuwenden».
Ich hatte erkannt, dass sich dieser Ineichen weniger von
Weitere Kostenlose Bücher