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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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versuchte, leise zu sein.
    Brandgeruch weckte mich. Ich starrte an die Decke und rief mir in meinem schlaftrunkenen Hirn in Erinnerung, dass Rosalia ja heute für uns zu kochen beabsichtigte. Der Gestank, der durch die Fugen zwischen Tür und Zarge in mein Zimmer drang, liess sich als Gemenge von verbranntem Öl, Zwiebeln und Fisch bestimmen. Entschlossener als sonst stand ich auf und öffnete das Fenster.
    Ich zog mich an und verliess das Zimmer. Je näher ich der Küche kam, desto penetranter wurde der Geruch. Auf dem Weg dorthin riss ich alle Fenster auf, auch jene gegen die Strasse hin, und betrat mit einer Zigarette im Mundwinkel die Küche.
    Der Anblick, der sich mir nach Auseinanderdriften der Schwaden bot, entschädigte mich indessen für den Gestank: Rosalia in Jeans, BH und Schürze, die Haut feucht schimmernd, das Haar beinahe auf Wirbelhöhe zum Pferdeschwanz gefasst. Wie sie mich bemerkte, strich sie sich eine widerspenstige Strähne aus der Stirn.
    «Did you see my lighter?»
    Sie lächelte verlegen, griff sich in die Schürzentasche und gab mir Feuer.
    Ob ich ihr helfen könne.
    Rosalia schüttelte den Kopf.
    In einer Viertelstunde können wir essen, sagte sie.
    Ich murmelte «in Ordnung» und verliess die Küche. Am Fenster stehend schaute ich dem Mittagsverkehr zu. Nachdem ich die Kippe in eine Lücke der endlos rauschenden Kolonne gespickt hatte, ging ich ins Bad und wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Ich befeuchtete die Haare und brachte sie in eine vorläufige Ordnung. Dann ging ich die Zeitung holen.
    Im Wohnzimmer, wo Rosalia den Tisch deckte, setzte ich mich in den Korbstuhl und schlug die Zeitung auf. Hinter dem Rand hervorblickend fragte ich mich nicht ohne Befremden, ob sich irgendwo tief in meinem Bewusstsein patriarchalische Ansichten bewahrt hatten oder Schürzen an sich Rosalia gut standen.
    Nach dem Essen, das bedeutend besser schmeckte als seine Zubereitungsimmissionen, entging ich dem Abwasch dank eines Termins. Ich führte mein Velo, ein klappriges Exemplar der Marke Tour de Suisse, aus meinem Kellerabteil ans Tageslicht, steckte mir eine Zigarette an und schwang mich auf den quietschenden Sattel. Den üblichen Machtkampf zwischen muskel-angetriebenem Stahl und motorisiertem Blech entschied ich für mich – konnte von der Gerliswilstrasse zügig in die Rüeggisingerstrasse einschwenken, wo ein neu angelegter Velostreifen mir trügerische Sicherheit bot. Ich radelte an der Gemeindeverwaltung vorbei und weiter entlang dem Schulareal Gersag: funktionalistische Unterrichtsgebäude, Turnhallen, Sportplätze. Eine Brücke der A2 überdachte in kathedralischer Höhe einen Kreisel – ich hielt mich unbeirrt nach Nordosten.
    Nach einem längeren Strassenabschnitt gelangte ich erneut zu einem Kreisel. Ich nahm die südöstliche Ausfahrt. Die Strasse verlief schnurgerade durchs Haslifeld, das seiner Topografie wegen bereits in den Zwanzigerjahren als Standort für einen Flugplatz diskutiert wurde. Zwischen Pisten und Kuhweiden radelnd näherte ich mich nach einiger Zeit den ersten Häusern.
    Hier begann der ländliche Teil der Gemeinde – jenes Relikt aus grossbäuerlichen, katholisch-konservativen Zeiten –, dessen Vormachtstellung mit der ersten Fabrikgründung auf der Emmenweid vor beinahe hundertfünfzig Jahren ins Wanken geriet. Dessen ungerührt masste sich dieser Gemeindeteil noch heute an, der Stadt Namen und Identität zu geben.
    Damals hatte Emmen für autoritär über Knechte, Mägde und Verdingkinder gebietende Grossbauern gestanden, für uneingeschränkte Kirchentreue und erbitterte Feindschaft gegen jede gesellschaftliche Erneuerung. Zum grossen Missfallen seiner Autoritäten eröffnete sich im prosperierenden Teil bei der Emmen-Brücke den landlosen Knechten neue Perspektiven in Industrie und Gewerbe, und gegen deren Widerstand erhielt der Ort in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ein erstes Schulhaus.
    Emmen Dorf selbst war ein Kaff gewesen, wie es tausende gab in diesem Land, mit Dorfkirche und Dorfbeiz und landwirtschaftlichen Betrieben. Letztere waren zwar wohlhabender als beispielsweise jene im Entlebuch – woher sie ihre willigen und billigen Arbeitskräfte bezogen –, jedoch keineswegs aufgeschlossener der sich wandelnden Zeit gegenüber.
    Hier gab es heute noch Menschen, die mit ihrem Denken in der vorindustriellen Zeit verankert waren. Einen solchen schizoiden Zeitgenossen zu besuchen schickte ich mich an.
    Ich hatte mich am Telefon als

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